Wer nicht hat, dem wird genommen

Der US-Senat verabschiedet eine von Republikanern und Demokraten unterstützte Kürzung der Sozialhilfe um 70 Milliarden Dollar / Arbeitspflicht und Bezugsbefristung  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es gab endlich wieder einmal Anlaß zum Jubel auf dem Kapitol. Bob Dole, Präsidentschaftskandidat und Mehrheitsführer der Republikaner im US-Senat, strahlte über das ganze Gesicht, während Newt Gingrich eigens aus dem Repräsentantenhaus herübergeeilt war, um Hände zu schütteln, Schultern zu klopfen und Rücken zu tätscheln. Der Senat hatte soeben mit überwältigender Mehrheit beschlossen, einen zentralen Bestandteil des „New Deal“ aus der Ära Franklin D. Roosevelts abzuschaffen: Die Garantie, wonach jeder Amerikaner ein Anrecht auf staatliche Hilfe zum Schutz vor Armut und Hunger hat, soll nicht mehr gelten. 87 Senatoren, darunter zahlreiche liberale Demokraten, stimmten am Dienstag dafür, die Sozialhilfepolitik faktisch in die Kompetenz der einzelnen Bundesstaaten zu übertragen. Nur 12 stimmten dagegen.

Nach diesem ersten konkreten Schritt der vieldiskutierten „Welfare Reform“ in den USA erhalten die Bundesstaaten nur mehr einen herabgesetzten Geldbetrag, mit dem sie nach eigenem politischen Gutdünken die Armut oder – wie Kritiker der Senatsabstimmung sagen – die Armen bekämpfen können. Landesweit vorgegeben ist dabei die Verpflichtung, den Bezug von Sozialhilfe auf fünf Jahre zu begrenzen und Empfängern aufzuerlegen, nach spätestens zwei Jahren Arbeit gefunden zu haben. Gleichzeitig sollen die Mittel für Lebensmittelmarken drastisch gekürzt werden. Hat ein Bundesstaat mehr Bedürftige zu versorgen, als ihm nach dem neuen Gesetz Finanzmittel zur Verfügung stehen, so bleiben dem Gouverneur und dem jeweiligen Parlament nur die Möglichkeit, entweder Steuern zu erhöhen oder Sozialhilfe zu verweigern. Angesichts der notorisch feindseligen Haltung der US-Öffentlichkeit gegenüber Steuern aller Art dürften die politisch Verantwortlichen in aller Regel die zweite Option bevorzugen.

Noch steht dem Gesetzentwurf zur „Welfare Reform“ eine letzte parlamentarische Hürde bevor: Die Version des Senats muß mit dem bereits im März verabschiedeten Entwurf des Repräsentantenhauses in Einklang gebracht werden. Dieser enthält radikalere Punkte: zum Beispiel das Verbot jeder Sozialhilfe für Kinder, deren Mütter jünger als 18 Jahre und nicht verheiratet sind. Der vermeintlich moderatere Senatsentwurf überläßt es den Bundesstaaten, ob sie solche Maßnahmen einführen oder nicht.

Dem Senatsentwurf hat sogar US-Präsident Bill Clinton schon umgehend seine Zustimmung signalisiert – garniert mit einer eher symbolischen Protestnote: Sollten in den gemeinsamen Verhandlungen zwischen beiden Kammern sich die Hardliner aus dem Repräsentantenhaus durchsetzen, so erklärte Clintons Stabschef Leon Panetta, könnte der Präsident sein Veto einlegen. Das heißt: Mit der Version des Senats kann der Präsident leben.

Einst wollte der demokratische Präsident mit einem Fünfjahresprogramm im Umfang von 9 Milliarden Dollar Sozialhilfeempfängern durch Fortbildungsmaßnahmen, Finanzhilfe und Kinderbetreuung zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt verhelfen. Jetzt ist er bereit, ein Gesetz zu unterzeichnen, das die US-Sozialausgaben über die nächsten sieben Jahre um 70 Milliarden Dollar kürzen soll.