Exekutierter Aralsee vergiftet die Menschen

■ Neues Datum der Experten: Bis 2015 ist er endgültig ausgetrocknet

Moskau (taz) – Sie berieten über eine der größten Öko-Katastrophen der Welt. Spezialisten aus aller Herren Länder trafen sich in der ersten Hälfte dieser Woche auf einer UN-Konferenz in der usbekischen Stadt Nukus mit Führern der Ufer-Staaten des Aralsees, Usbekistan und Kasachstan, sowie der an diese angrenzenden Länder. In den mittelasiatischen GUS-Staaten speisen sich Bewässerungssysteme für gewaltige Baumwoll- Monokulturen aus Flüssen wie dem Amur Darya, die das früher viertgrößte Binnengewässer der Welt im Bewußtsein der Sowjetvölker zum „Aral-Meer“ machten. Heute ist das Wasser bis zu 120 Kilometer vom früheren Ufer entfernt. Was einst ein reiches Nahrungsreservoir war, bildet jetzt mit seinem Salzstaub für seine AnwohnerInnen eine Quelle von Hunger, Tod und Leiden.

Die Endzeitentwürfe aus der Science-fiction-Literatur eines Stanislaw Lem oder Ray Bradbury sind hier schon Wirklichkeit geworden. Wo einst Ackerland war, breitet sich jetzt alkalischer Wüstenboden wie ein Waschbrett aus. Er ist mit Insektiziden gesättigt, die die Flüsse aus den entfernten Baumwollplantagen herbeigeschwemmt haben, wo man noch unlängst starke Gifte per Flugzeug über die Plantagen versprühte. Die Temperaturen in der Uferzone schwanken zwischen extremer Hitze und Eiseskälte. Häufige Sandstürme verbreiten den giftigen Staub über die Fischerdörfer.

Der Salzgehalt des verbliebenen Gewässers ist in den letzten 30 Jahren um das Vierfache gesteigen – das hält kein Fisch mehr aus. Zusätzlich zu den von den Giften erzeugten Nierenschäden und Erkrankungen der Atmungsorgane leiden die meisten der dreieinhalb Millionen AnwohnerInnen des Sees heute unter Mangelernährung. Von wahren Weltrekorden berichtete eine Angestellte der staatlichen Familienplanungsbehörde in Nokus den Delegierten der Konferenz. „29 Prozent der schwangeren Frauen bei uns sind blutarm. Die Kindersterblichkeit ist die höchste in der ehemaligen Sowjetunion.“ Den Eltern eines erstickenden Kindes werden die Konferenzbeschlüsse kaum Trost bieten. Rußland versprach etwas Geld, ansonsten beschränkten sich Politiker und Planer auf Goodwill- Erklärungen. Die Weltbank hält 500 Millionen Dollar für neue Bewässerungssysteme zurück. Die Experten zögern nicht ohne Grund. Die führenden Politiker der mittelasiatischen GUS-Staaten haben bis heute von den Monokulturen profitiert. Um die Folgen ihres Geschäftes scherten sie sich wenig. Man sollte nicht auf ihre Bereitschaft vertrauen, internationale Geldmittel in Kanäle zu leiten, die den eigenen Reichtum nicht ummittelbar vermehren. Barbara Kerneck