Wir kündigen das Vertrauen

■ Es geht nicht nur um ein paar mehr Scheinchen, sondern um die Beständigkeit der Verfassung

Sie verdienen unseren Respekt nicht mehr, nicht unsere Achtung und nicht den Glauben in die grundsätzliche Aufrichtigkeit ihrer Worte und Taten. Die Parlamentarier des Deutschen Bundestages, unsere freigewählten Vertreter, diskreditieren sich keineswegs deshalb, weil sie mehr Geld wollen. Wir kündigen ihnen unser Vertrauen aus prinzipiellen Gründen auf: Sie brechen einen zentralen gesellschaftlichen Konsens, indem sie das Grundgesetz – einmal mehr – zu einer willkürlich veränderbaren Verhandlungsmasse machen. Es geht um mehr als ein paar Scheinchen. Es geht um die Beständigkeit unserer Verfassung. Danach sollen die Gewählten ihre von uns bezahlten Diäten Jahr für Jahr, miteinander und in der Öffentlichkeit aushandeln und transparent machen müssen. Eine lapidare Anpassung an die Bezüge von Bundesrichtern steht diesem verfassungsrechtlichen Gebot entgegen.

Die für heute geplante Zerfledderung des Grundgesetzes geht nach dem Motto: Alles ist möglich – und dies ohne Not. Auch mit der geltenden Verfassung haben die Abgeordneten die allergrößte Freiheit, sich so hinlänglich zu entlohnen, daß sie ihre gierigen Näschen in Gold aufwiegen können. Aber sie sollen es sagen und dafür Rede und Antwort stehen. Die Entledigung von dieser Pflicht muß, wie Rudolf Augstein richtig sagt „die Freunde der italienischen Oper in Palermo vor Erfurcht erschauern lassen“.

Diejenigen jedoch, die meinen, es handele sich bei der geplanten Grundgesetzänderung um einen Verfassungsbruch, irren. Leider. Denn andernfalls gäbe es das Bundesverfassungsgericht, das angerufen werden und Einhalt gebieten könnte. Die Damen und Herren in Bonn allerdings sind so dumm nicht. Sie ändern die Verfassung selbst, den Maßstab also, an dem sich in seinen Entscheidungen das Bundesverfassungsgericht zu orientieren hat. Damit wird jede rechtliche Kontrolle von vornherein abgefangen und die Bundesverfassungsrichter an einen Nichtort verwiesen. Julia Albrecht