Bundestag schont Kanther

■ Der „Stern“ berichtet: Sudanesische Asylbewerber seien keine Oppositionellen gewesen. Pro Asyl kritisiert oberflächliche Recherche. Aktuelle Stunde abgesagt

Bonn (taz) – Erneut für Aufregung sorgte gestern in Bonn die umstrittene Abschiebung von sieben Sudanesen in ihr Herkunftsland. Nach einem Artikel im Stern und nach der Sitzung des Innenausschusses des Bundestages hat die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen unerwartet eine von ihr beantragte Aktuelle Stunde zu der umstrittenen Abschiebung zurückgezogen. Die bündnisgrünen Abgeordneten befürchteten, daß nach der Veröffentlichung des Stern die Diskussion im Bundestag nicht mehr sachlich geführt worden wäre, sondern sich auf das Stichwort „alle Asylbewerber sind Wirschaftsflüchtlinge“ beschränkt hätte.

Dem Stern-Artikel zufolge sind mindestens vier der abgeschobenen Männer im Sudan nicht verfolgte Oppositionelle, sondern aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, die sich für den Verbleib der Sudanesen in Deutschland eingesetzt hatte, bezeichnet den Bericht als „oberflächlich und naiv“. Sprecher Heiko Kauffmann sagte, den Reportern sei nicht klar gewesen, daß sie mit Menschen sprächen, die aus Angst vor dem Staatsterrorismus nicht öffentlich die Wahrheit sagen könnten. Der von dem Magazin zitierte sudanesische Oppositionspolitiker El Hussein Ahmed, der sagte, keiner der Abgeschobenen sei in der sudanesischen Oppositionsbewegung bekannt, sei der Chef einer konkurrierenden Oppositionspartei. Nach jüngsten Recherchen der führenden Oppositionsbewegung „National Democratic Alliance (NDA) gehörten aber mindestens fünf der sieben aus Deutschland Abgeschobenen der Opposition an, sagte Kauffmann.

Im Innenausschuß des Bundestages ist Bundesinnenminister Kanther von allzu harter Kritik verschont geblieben. Er habe viele Umstände, die ihn in ein fragliches Licht gestellt hätten, stichhaltig widerlegen können, hieß es. In dem Gremium habe Kanther von einer Kampagne gesprochen, die im Vorfeld des Bundesverfassungsgerichtsurteils angezettelt worden sei. Diesem Vorwurf widerspricht die SPD-Bundestagsabgeordnete Sonntag-Wolgast. Sie wirft Kanther vor, daß er angesichts der damals noch möglichen Bereitschaft Eritreas, die Sudanesen aufzunehmen, nicht länger mit der Abschiebung gewartet hat: „Er hat den Spielraum an politischer Initiative nicht genutzt.“ vw/nin