Wortlose Schönheit

■ Ein Auftritt gegen die Geschwätzigkeit im Popgeschäft: Lisa Gerrard in der Glocke

Wenn eine derart großartige Stimme erzählt, lohnt sich das Zuhören – auch wenn bei Lisa Gerrard statt Worten nur Töne, Betonungen und unverständliche, weil lateinische oder persische Silben erklingen. Folglich drängten sich am Mittwochabend kulturbewußte Grufties ebenso wie BWL- StudentInnen in der beinah ausverkauften „Glocke“, um die Kunst der wort- und zeitlosen Kommunikation zu erleben, wie sie Gerrard als bessere Hälfte des Duos „Dead Can Dance“ seit über fünfzehn Jahren exerziert.

Die Weltgeschichte der Musik liefe den Stoff für die Geschichten, die Gerrard auf ihre ganz besondere Art erzählt. Auch auf Solopfaden geht es Gerrard um eine neue, zeitlos gültige Pop-Ästethik. Das heißt vor allem, sich bei den Gesangslinien vom Diktat des Textes zu lösen. Daraus resultiert ihre Beschäftigung mit mittelalterlichem, persischem, alt-hebräischem Liedmaterial. Emotionen, Stimmungen der jeweiligen Werke sollten auch in der Glocke im Mittelpunkt stehen, nicht die „Lyrics“.

Das gelang trefflich. Denn die Klanglandschaften, die Gerrard und ihre Musikanten aus dem alten Material woben, waren dicht und plastisch. Die voluminöse und facettenreiche Stimme der gesanglichen Autodidaktin füllte den Saal völlig aus. Die Instrumentierung war auf Authentizität bedacht: Eine bunte Musikerschar bediente virtuos chinesische Percussion, indische Tablas oder exotische Saiteninstrumente. Viel wurde aufgefahren, aber sparsam wurde es eingesetzt. Das ließ reichlich Platz zur klanglichen Entfaltung; nicht nur Gerrards Stimme, sondern auch das Hintergrundsummen der Verstärkeranlage kam hier zur Geltung.

Und tatsächlich: die Bilder entstanden im Kopf des Hörers. Das Zentrum eines Liedes wie „Sanevan“ ist Ehrfurcht – ein abstrakter Inhalt, der im Hörer einen meditativen Prozeß auslösen soll. Ohne das Wort „Schmerz“ auszusprechen, wurden hier Verlust und Trauer spürbar.

Zu sehen gab es konsequenterweise wenig, der Blick sollte nach innen gelenkt werden. Gerrard glich oft mehr einer Vortragenden als einer Sängerin: weißgewandet hinter ihrem Pult, von dunkelblauem Licht angestrahlt.

Ein Hauch mehr Unbeschwertheit hätte der sehr auf sakrale Atmosphäre fixierten Darbietung vielleicht gut getan. So aber blieb es bei einer herrlich melancholischen Vorstellung von fast überirdischer Schönheit. Fast – denn ganz ohne Worte kam Gerrard darin doch nicht aus. „Please stop it,“ flüste die Australierin fast unhörbar, als einer der Hintergrundsänger partout nicht den rechten Ton treffen wollte. Und am Ende des Konzertes noch ein „Good Night“. So verließ sie nach gerade mal fünf verständlichen Worten die Bühne und hatte doch so viel über Unendlichkeit, Schönheit und Geist gesagt. Lars Reppesgaard