Der singende Luxusliner

■ Ein Stadtteil auf großer Fahrt: Die Jungfernfahrt der „Bremen“ wird im Kulturbahnhof Vegesack als Revue nachempfunden

Klammheimlich probt seit Monaten ein ganzer Stadtteil die Überschreitung des Horizontes. Bremen-Nord hat das „Blaue Band“ im Visier, den Preis für die schnellste Atlantiküberquerung.

Dafür gilt es, 66 Jahre zu überbrücken und sich an Bord der „Bremen“ einzuschiffen, die 1929 auf ihrer Jungfernfahrt nach New York jene begehrte Trophäe erhielt. In Angst und Schrecken versetzte Kapitän Ziegenbein die internationale Konkurrenz damals, als sein Luxusliner mit 22.000 Fahrgästen an Bord auch den Rückweg in neuer Rekordzeit zurücklegte. Der Ruf der „Bremen“ erschallte über die Meere, ein Mythos war geboren.

Kapitän Ziegenbein lebt. Genauso wie seine Matrosen, die Maschinisten, Heizer, die Bordkapellisten, die Stewards und die Passagiere, die heute wie weiland im Reisekontor des Norddeutschen Lloyd ihre Tickets für die Atlantiküberquerung erstehen und über die Gangway ins Schiffsinnere des Kulturbahnhofs Vegesack drängen. Dort nämlich geht ab heute eine „maritime Revue“ über die Bühne, die das Atlantik-Spektakel von damals stilecht nachempfinden soll: „Die Jungfernfahrt der Bremen“.

Heute wie damals werden die Passagiere also, gleich nach dem Empfang an Bord, in ihre Decksklassen eingewiesen. Verwöhnung in der ersten Klasse, im Unterdeck rangelt man sich in etwas rustikalerer Umgebung zurecht. Im Bedarfsfall flieht man ins Spielcasino oder an die exklusive Cocktailbar und wiegt sich zum lieblichen Klang der Bordkapelle zurück in die 20er Jahre: „Ich fahr mit meiner Erika von Bremen nach Amerika“.

Es ist der 13. Juli 1929, drei Monate vor dem „Schwarzen Freitag“ an der New Yorker Börse, der die internationale Wirtschaft zum Zusammenbruch bringt. Noch weiß es niemand, doch das Leben gärt, ist reif wie eine pralle Frucht. Als gelte es, vor dem Verfall die Süße zu schmecken, torkeln die Menschen dem Untergang entgegen. Überbordende Lebenslust neben strengem Puritanismus, Anstand, Aufstand, der Krieg ist vorbei, es lebe der Krieg. Wirbel und Untiefen, hoch schlagen die Wellen an die Bordwand der „Bremen“, in deren Bauch die „goldenen 20er“ mit ihrem augetakelten Bleikern scheppern. Tragisch-komisch. Ein fulminantes Spektakel.

Auf drei Bühnen wird es sich entfalten. Dabei sitzen alle in einem Boot, ob SchauspielerInnen oder Publikum. Mitmachen müssen alle, das Leben erlaubt kein Entrinnen, die Zeitschleuse keinen Gegenverkehr. Alles pulsiert im Jetzt der Vergangenheit, alles ist wahr: der Kapitän ist ein echter Kapitän, die Shanty-Sänger sind Shanty-Sänger, am Schifferklavier sitzt, wie im richtigen Leben, Hans Täubner, das Bremer Original, im Stadteil bekannt wie ein bunter Hund. Der Kneipier aus dem Viertel ist Liebhaber, der Kulturreferent bezeichnenderweise Barmixer. Zu Dutzenden sind sie dabei, selbst das Mütterzentrum häkelte mit an der maritimen Revue. LaiInnen und kulturelle Vollprofis stehen gemeinsam in den Tampen, um die „Bremen“ so richtig in Fahrt zu bringen.

„Bremen-Nord ist reich an Kultur mit einem hohen Qualitätsstandard“, sagt Susanne Hennig, die gemeinsam mit Claudia Becker durch die maritime Revue führt. Susanne Hennig initiierte dieses gigantische Projekt, das der Verein zur Förderung der kulturellen Breitenarbeit in Kooperation mit dem Kulturbahnhof Vegesack entwickelte.

Die Kulturpädagogin, mit Haut und Haaren dem Maritimen verfallen, sorgte schon im Stadtteil Huchting dafür, daß die BewohnerInnen nicht auf der Sandbank der Langeweile stranden. Ihr letztjähriges Projekt, bei dem der Ortsamtsleiter von Huchting 70 Menschen seiner Gemeinde in den „Untergang der Titanic“ skipperte, hinterläßt noch heute hohe Brandungswellen im Sprengel. Alle drei Untergangs-Vorstellungen waren bis auf den letzten Platz ausverkauft. Das wird im Kulturbahnhof Vegesack nicht anders sein, wenn es an den kommenden drei Abenden um 20 Uhr heißt: Leinen los für „Die Jungfernfahrt der Bremen“. dah

22. bis 24.9., jeweils 20 Uhr, Kulturbahnhof Vegesack; Karten unter Tel. 65 00 60