Die Vergottung des Kindes?

■ Größter Montessori-Kongreß in der deutschen Geschichte in der Humboldt-Uni

Die 1952 verstorbene italienische Ärztin Maria Montessori hielt hier in den zwanziger Jahren Vorträge, zur gleichen Zeit prügelten sich hier MontessorianerInnen und FröbelianerInnen darum, wer die bessere Reformpädagogik vertrete. Insofern ist die Humboldt- Universität der angemessene Platz für den größten Montessori-Kongreß, den es je in Deutschland gegeben hat. Rund 650 PädagogInnen diskutieren dort heute und morgen, ob die Prinzipien Maria Montessoris der Schule von heute aus der Krise helfen und den Frust von Kindern, Eltern und LehrerInnen lindern können.

Montessori, die 1907 ihr erstes „Kinderhaus“ eröffnete, fand heraus, daß Kinder in bestimmten „sensitiven Perioden“ etwas ganz Bestimmtes lernen wollen. Das Kind entwickle sich von allein, wenn man es in seinem Lerneifer unterstütze und ihm möglichst sinnliche und begreifbare Materialien in die Hand gebe. Ein wichtiger Bestandteil ihrer Pädagogik sind die „Freistunden“, in denen Kinder täglich zwei Stunden in der Schule selber auswählen können, woran und wie sie arbeiten wollen.

Die Reformerin sei davon ausgegangen, so Professor Winfried Böhm, Präsident der vor 70 Jahren gegründeten Deutschen Montessori-Gesellschaft, daß das Kind von Natur aus gut sei. Der Kongreß unter dem Titel „Kinder sind anders – Maria Montessoris Bild vom Kinde auf dem Prüfstand“ solle auch dazu dienen, diese Annahme kritisch zu überprüfen. „Montessori und die Vergottung des Kindes“ heißt zum Beispiel ein Vortrag der Zürcher Professorin Susanne Heine am Samstag um 15 Uhr.

Eine „Vergottung“ würde man sich in diesem „kinderfeindlichsten Land Europas“ (so der Kinderschutzbund zum Weltkindertag) manchmal durchaus wünschen. Der Kieler Professor Wilhelm Brinkmann wird in seinem öffentlichen Festvortrag heute um 19 Uhr diese Aversion gegen Kinder indes bestreiten. Seine These: Die heutige Gesellschaft sei „weder besonders kinderfeindlich noch aufregend kinderfreundlich, sondern ,kinderlos‘, kindneutral“, weil man die Kids in spezielle pädagogische Einrichtungen weggesperrt und das öffentliche Leben „thematisch von Kindheit gereinigt“ habe.

Weil nun diese Einrichtungen zunehmend von Disziplinar- und Gewaltproblemen erschüttert werden, boomt seit einigen Jahren wieder die Reformpädagogik. Mit Unterstützung von den Grünen bis zur CDU sind vor allem in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Berlin eine ganze Reihe von Schulen eingerichtet worden, die ganz oder zum Teil nach Prinzipien Montessoris arbeiten. Ironie am Rande: Seit Berlin zum Regierungssitz auserkoren wurde, wollen immer mehr besorgte Bonner Beamte von der hiesigen Schulverwaltung wissen, ob es denn „so was“ in Berlin auch gäbe.

Es gibt, allerdings nicht in Privatschulen wie in Bonn, sondern in den staatlichen: in 10 Grundschulen, 2 Sonderschulen und 15 Kitas. Allerdings wird ein wichtiges Prinzip Montessoris, die Altersmischung, nur in einer einzigen Einrichtung praktiziert: in der Clara- Grunwald-Grundschule in Kreuzberg, so benannt nach der Gründerin der Deutschen Montessori-Gesellschaft. Dieser Schulversuch, berichtet die Lehrerin Brigitte Hegenbart, sei vor fünf Jahren mit Hilfe des AL-Bildungsstadtrates Dirk Jordan gestartet worden – auf Initiative von LehrerInnen, die sich in Kursen bei der Montessori- Gesellschaft hatten weiterbilden lassen. Die Atmosphäre in der Schule sei sehr gut und weitgehend gewaltfrei, so die Lehrerin, auch schulfremde BesucherInnen seien immer wieder begeistert, wie ältere Kinder jüngeren helfen. Frontaler Unterricht ist dort die Ausnahme: „Wir versuchen zu vermeiden, daß einer spricht und alles schläft.“ Ute Scheub