Mit Affenfellfransen

■ Die Hüte (besser: Kleinplastiken) der Adele List im Kunstgewerbemuseum sind wirklich sehenswert. Warum also wird diese Ausstellung von den MacherInnen fast versteckt?

Hüte als verrückt zu bezeichnen ist eigentlich ein Pleonasmus. Denn ein richtiger Damenhut ist ein verrückter Hut. Doch angesichts der Hüte der Adele List, die derzeit im Kunstgewerbemuseum zu sehen sind, stöhnt man tatsächlich: „Verrückt“. Voll Bewunderung über die Möglichkeiten, die es gibt, einen Hut zu formen, und voll Erstaunen über die Materialien, die dazu dienen können.

Bevor man allerdings in diesen Genuß kommt, gilt es hinter das Versteckspiel zu kommen, das (nicht nur) mit dieser Ausstellung getrieben wird. Mich würde ernsthaft interessieren, wer die Verantwortung dafür trägt, daß BesucherInnen, die mit neugierigem Blick aus der Neuen Nationalgalerie treten und sich umschauen, wohin sie sich als nächstes unternehmungslustig wenden könnten, nichts anderes sehen als eine Behelfsbushaltestelle. Wer von ihnen kommt schon bei der vermurksten architektonischen Anlage des Kulturforums darauf, daß sich weit hinter ihrem Rücken noch einiges Interessante abspielt?

Aber bloß keinen Hinweis in oder vor der Nationalgalerie, auf Ausstellungen im Kupferstichkabinett oder in der Kunstbibliothek. Dort wird derzeit Modefotografie gezeigt, aber ebenfalls kein Hinweis gegeben, daß im Kunstgewerbemuseum nebenan aufregende Hüte zu sehen sind – welches sich wiederum zu schade dafür ist, seine abweisende Eingangsfront mit Ausstellungsplakaten einladender zu gestalten. Wo käme man denn hin, wenn die Ausstellungen, die der Preußische Kulturbesitz für mehr oder weniger Geld von anderswo her übernimmt, auch noch besucht würden?

Die Hüte der Adele List kommen übrigens aus Wien. Dort meldete sie 1924 ihr Modistinnengewerbe an, und dort starb sie 1983, elf Jahre nachdem sie – achtzigjährig – ihr Atelier geschlossen hatte. Wien war zwar eine Stadt der Mode, aber Adele List nicht unbedingt eine Frau der Mode. Das sieht man ihren Hüten an, die zu eigenwillig sind, als daß man sie einzelnen Moden zuordnen könnte. Tatsächlich erfährt man im Katalog, daß sie viele ihrer Kreationen immer wieder nachbaute, weswegen der einzelne Hut auch oft nicht zu datieren ist.

Dieser einzelne Hut ist eine Skulptur, eine abstrakte, mono- oder polychrome Kleinplastik. Denn Adele Lists Hüte kennen keine Garnierung und keinen Aufputz. Sie sind ein in sich gültiges Formgebilde, dabei extrem leicht und weich.

Ihre Idee verdanken sie traditionellen weiblichen Kopfbedeckungen wie Haube, Kopftuch, Netz oder Kapuze. Was nicht heißt, daß Adele List in ihren Hüten nicht auch männliche, militärische oder liturgische Formen der Kopfbedeckung zitierte, de- und rekonstruierte. Aber so gut wie nie kam dabei ein steifer Hut heraus.

Und genauso wie sie alte Formen gewissermaßen gegen den Strich bürstete, ging sie mit den Materialien um. Respektlos gegenüber traditionellen Verarbeitungstechniken und Anwendungsarten schuf sie etwa einen Turban aus sperrigem Stroh.

Auch das klassische Barett, Inbegriff der schlappen Kappe, ist bei ihr aus Stroh; und ein Helm wiederum, ein biegsames Objekt aus Pailletten. Die relativ steife Schute eines Filzhäubchens fertigte sie gegenläufig aus durchsichtigem Seidentüll.

Transparent ist auch die Verarbeitung und Montage ihrer Hüte. Es ist leicht zu erkennen, daß sie kaum gefüttert sind und selbst dann möglichst wenig Unterkonstruktion haben, wenn Adele List Straußen- oder Reiherfedern, schmale Rips- und Strohbänder oder Pelzfransen aus Affenfell zu Hüten montierte.

Daß wir heute keine Hüte mehr tragen, bestärkt natürlich den Eindruck, vor Kunstobjekten zu stehen – Adele Lists Hüte waren es schon zu ihrer Entstehungszeit. Denn mit den 20er Jahren schwand die Funktion des Huts als Pflichtkleidung und Standessymbol.

Für knappe fünfzig Jahre war er individuelles Accessoire, Lust und Laune der Trägerin, die allerdings nicht schon als Hutträgerin an sich auffiel, sondern als Trägerin eines bestimmten Hutes. Darin lag die Herausforderung, die Adele List, die eigentlich hatte Psychologie studieren und Sozialarbeiterin werden wollen, in einem modernen, reduktionistischen Design- Verständnis meisterte. Brigitte Werneburg

Bis 6. Dezember im Kunstgewerbemuseum, Matthäikirchplatz 10,

der Katalog (Gerda Buxbaum: „Die Hüte der Adele List“, Prestel 1995) kostet 40 DM