„Wie es weitergeht, wissen nur die Götter“

■ Senatsverwaltung für Gesundheit will 1.500 Klinikbetten im Psychiatriebereich abbauen / Ambulante Versorgung durch die freie Träger ist jedoch ungesichert

Enthospitalisieren und Regionalisieren, das ist das Programm mit dem die Senatsgesundheitsverwaltung angetreten ist, die Psychiatrie zu reformieren und Millionen von Mark einzusparen. Bis 1997 sollen 1.500 psychiatrische Klinikbetten abgebaut und 250 Millionen Mark eingespart sein.

Leidtragende des Programms sind jedoch die freien Träger der ambulanten psychosozialen Einrichtungen, wie betreute Wohngemeinschaften , Kontakt- und Beratungsstellen oder nächtliche Krisen- und Notfalldienste. Denn sie sollen all die Menschen aufnehmen und betreuen, für die es dann kein Klinikbett mehr gibt. Doch leisten sollen sie dies quasi zum Nulltarif: Ohne gesicherte Finanzierung sollen die freien Träger mit einem sogenannten „Pflichtversorgungsauftrag“ staatliche Aufgaben übernehmen.

Es sei ein Skandal, daß gerade die psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen, die seit über 10 Jahren der „Herzschrittmacher“ dieser Psychiatriereform seien, von der Senatsverwaltung nicht ausreichend finanziert würden, kritisierte Andreas Koch vom „Kommrum e. V.“ die Finanzmisere. „Einerseits sollen wir die psychosoziale Betreuung der Bevölkerung sichern, andererseits wissen wir zur Zeit buchstäblich nicht, wie es im nächsten Jahr weitergehen soll.“

Die Bewilligungsbescheide der Bezirke sprechen eine deutliche Sprache: Mit mehr Geld oder einer Erweiterung der Projekte könne künftig nicht mehr gerechnet werden. Vielmehr sei davon auszugehen, daß die Mittel noch gekürzt würden. „Wenn ich diesen Bescheid ernst nehmen würde, könnte ich meinen Laden sofort dichtmachen“, sagte der Geschäftsführer einer Kontakt- und Beratungsstelle.

„Wir haben in unserem Bezirk zum Beispiel zwei Projekte – einen Krisendienst und eine Kontakt- stelle für psychisch Kranke –, die dieses Jahr aufgrund von erhöhten Personal-, Sachmittel-, Lebenshaltungskosten wie Mietsteigerung, Tariferhöhung 90.000 Mark mehr brauchten. „Unser Bezirksbürgermeister hat aus seinem Haushalt für uns zusätzlich 90.000 Mark lockergemacht, sonst hätten wir nicht überlebt.“ „Für dieses Jahr ist das Problem gelöst“, so der Geschäftsführer, „doch wie es nächstes Jahr weitergehen soll, wissen die Götter.“ Kein Einzelfall: Allen 29 Kontakt- und Beratungsstellen in Berlin geht es ähnlich.

Die Senatsverwaltung für Gesundheit wäscht jedoch ihre Hände in Unschuld. Die Zuwendungsgelder für die Vereine und ihre Projekte seien rechtzeitig an die einzelnen Bezirke weitergegeben worden, so der Sprecher der Behörde, Ulfried Herrmann. Stimmt: Die Gelder sind, wie es die Verwaltungsreform auch vorsieht, seit dem ersten Januar 1995 in den Globalhaushalt der Bezirke geflossen. „Wir verwalten hier lediglich den Mangel“, räumt die Wilmersdorfer Gesundheitsstadträtin Antonia Schwarz (Bündnis 90/Die Grünen) ein. Auch sie könne den Projekten nicht mehr bezahlen, als dafür von der Senatsverwaltung überwiesen werde.

Die Freien Träger schlagen jetzt Alarm: Bei der „Ersten Wahnsinn- Leistungsshow“ am Mittwoch abend in der Kulturbrauerei Pfefferberg machten sie deutlich: Ohne gesicherte und planbare Finanzierung müssen wir unsere Tore bald schließen. Auch Ellis Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer machte im Rahmen der Veranstaltung klar, daß ein solches Reformprogramm nur mit einer gesicherten Grundfinanzierung und einer Leistungspauschale zu realisieren sei. Doch den Politikern fehle offenbar der Mut für wirkliche Lösungen, so Huber. Michaela Eck