■ Burdas „Super Illu“ feiert sich selbst
: Eine Beleidigung der Arbeiterklasse

Oben auf der Galerie, dort wo die Scheinwerfer kaum noch hinkommen, hat sich Klaus Renft in eine Nische verdrückt. Seine Arme hat der Frontmann der legendären Klaus-Renft-Combo fest vor der Brust verschränkt. Er blickt mehr in sein Bier als nach unten auf die Bühne. Eingeladen war er nicht, ein „Versehen“ natürlich, beteuern die Gastgeber. Aber dann durfte er – „selbstverständlich“ – doch noch dabeisein. Auch wenn man seinem ausgewaschenen schwarzen T-Shirt schon von weitem ansieht, hier gehört er eigentlich nicht her.

Auf der Bühne der „kleinen Revue“ des Berliner Friedrichstadtpalastes zwischen silberweißer Glamourdeko und weinroten Samtvorhängen feiern andere. Die Super Illu, Lieblingsillustrierte des Ostens aus dem Hause Burda, begeht ihren fünften Geburtstag. So waren am Dienstag abend Stars und Sternchen, Schauspieler und Sportler zur „Supernacht der Oststars“ geladen.

Im kurzen Schwarzen begrüßt Dagmar Frédéric, die einst den „Kessel Buntes“ präsentierte, die rund 250 geladenen Gäste. „Hallo Peter“, „Hallo Roland“, „Hallo Gerrit“. – „Fünf Jahre“, stöhnt Frédéric, „sind eine lange Zeit.“ Fünf Jahre schon „aufregend frei“ (Super Illu-Slogan) – doch man kennt sich noch, die Stimmung ist intim.

Nacheinander dürfen die Sternchen aus realsozialistischen Zeiten ihre Hits von damals vortragen. Regina Thoss, einst als „Milva des Sozialismus“ gefeiert, hat Mühe, mit dem Playback mitzuhalten, was aber der Stimmung nicht schadet. Zwischen den Songs gibt's Aufrüstung fürs geschundene ostdeutsche Selbstbewußtsein:

„Uns kriegt keiner klein.“

„Es tut gut, daß die Ossis ihre Lieblinge nicht vergessen haben.“

„Wir sind wieder da.“

Nach der Wende abgewickelt und vielfach in der Versenkung verschwunden, sind aus den meisten DDR-Unterhaltungskünstlern ostdeutsche Showstars geworden, die wieder ganz gut im Geschäft sind. Der Rock und Pop aus dem Osten boomt. Was schon unter Honecker und Ulbricht in Vinyl gepreßt wurde, ist nicht nur östlich der Elbe auf CD wieder gefragt.

„Wir sind eine große Familie, das darf ich doch sagen?“ wendet sich Regina Thoss jubilierend ans Publikum. Unmißverständlicher Applaus, natürlich darf sie. Die ehemals peinlich staatstreuen Softrocker von den Puhdys sind genauso mit dabei wie der deutsch- deutsche Schlagersänger Frank Schöbel, der sich der DDR-Künstler-Opposition anschloß. Vor einer Handvoll ehemals singender IMs jodelt auch das Volksmusikduo Hauff und Henkler mit, das bis zum bitteren Ende den Sozialismus besang. „Es leben die Oststars!“ Die drei Buchstaben D- D-R kommen hier niemand mehr über die Lippen, auch wenn sich die eine oder andere UnterhaltungskünstlerIn dabei hörbar auf die Zunge beißen muß.

Auch ein „Hallo Klaus“, nach oben auf die Galerie gerichtet, bringt keiner der Interpreten heraus. Aber der ungebetene Gast macht gute Miene. „Ich trage keinem Kollegen etwas nach“, beteuert er, „ich habe auch meine Fans und Freunde, auf die ich mich verlassen kann.“ Doch kaum einer der neuen alten Oststars geht an diesem Abend auf ihn zu. 1975, noch vor der Biermann-Affäre, wurde seine „Klaus-Renft-Combo“ wegen „Beleidigung der Arbeiterklasse“ verboten, der Bandleader zwangsweise in die BRD ausgebürgert. Seine Akte ist dick. Lückenlos, wie man es von der Stasi erwartet, ist sein Fall dokumentiert, aber kaum ein Musiker hat damals für ihn Partei ergriffen. Im Gegenteil. „Du warst doch schon immer der Loser“, muß er sich von einem Kollegen anhören, während das Super Illu-Buffet gestürmt wird.

Fast alle lassen den heute 53jährigen, der sich in Westberlin als Musikredakteur beim Rias durchschlug, stehen. Nur der Gitarrist der Puhdys, Dieter Hertrampf, ringt sich ein paar nette Worte ab. Dann aber baut er sich wie zum Duell im Glitzersakko vor ihm auf: „Ich mache nicht Musik, um die Welt zu verändern“, meint er, „sondern ich bin zufrieden, wenn die Leute auf die Bänke springen und klatschen.“

Ihren wiedererlangten Ruhm verdanken viele hier dem Burda- Blatt. Mit einer Auflage von fast 600.000 Exemplaren und wöchentlich über zwei Millionen Lesern, ist sie die meistgelesene Zeitschrift im Osten.

„Welt verändern? Hauptsache Applaus“

Seit die westdeutschen Blattmacher gemerkt haben, daß nackte Brüste und Ärsche nach fünf Jahren nicht mehr so dringend gefragt sind, ziert jetzt jede Woche ein Ost- Promi das Titelblatt der Super Illu. Die Ostalgie zahlt sich aus, immer noch steigt die Auflage. Stasi, Stars und ein wenig Sex, so lautet das Erfolgsrezept, Berührungsängste gibt es keine. Die Beerdigung des einstigen FDGB-Vorsitzenden Harry Tisch ist der Super Illu genauso eine große Foto-Reportage wert wie die mögliche Hochzeit des im Westen gescheiterten Ost-Moderators Lippi.

Natürlich kürt auch die Super Illu die Lieblinge ihrer Leser. 100.000 von ihnen haben sich an der Wahl des beliebtesten Stars des Ostens beteiligt, und natürlich nutzt man die Geburtstagsparty, um die Preise zu überreichen. Neben dem unvermeidlichen Boxer Henry Maske, der das Wiedersehen schwänzt und nur kurz anruft (siehe Foto), und Altstar Frank Schöbel haben die Ossis Stefanie Hertel (Bildhintergrund) zu ihrem Liebling gewählt. Die 16jährige in ihrer roten Trachtenbluse könnte man als so was wie eine jugendliche Herausforderung für Caroline Reiber bezeichnen. Als Kinderstar hatte Stefanie Hertel im DDR- Fernsehen ihre ersten Auftritte, inzwischen hat sie mit faltenfreiem Gesicht und unschuldigem Blick erreicht, wovon viele der alt gewordenen Sternchen im Saal nur träumen können. Sie ist längst nicht mehr nur von Saßnitz bis Oberhof, sondern auch von Passau bis Flensburg der Star der volkstümlichen Hitparaden. „Supertoll“ findet sie den Abend, auch wenn sie die meiste Zeit steif in der Gegend rumsteht und sich hilfesuchend nach ihrem Freund umschaut.

Wie man Vergangenheit erfolgreich verdrängt, führt die Super Illu allwöchentlich vor, und auch die ehemaligen DDR-Unterhaltungskünstler haben sich längst darauf eingestellt. Im Versmaß, als handele es sich um einen Abzählreim, wird sich bei der „Nacht der Oststars“ darüber amüsiert, daß manchem Kollegen eine Akte die neue Karriere verbaute. Der Schlagersänger Hartmut Schulze-Gerlach, der sich von seinen Freunde liebevoll „Muck“ nennen läßt, trägt sein Liedchen über die „Schokolade“ vor. Im Jahre 5 der deutschen Einheit betont Muck gern, daß solch Singerei angesichts früherer Versorgungsengpässe ja nicht ohne „politische Brisanz“ gewesen sei. Ja, ja die „Außenumstände“, so formuliert er es schließlich, „die waren wirklich beknackt“, ansonsten sind sich alle einig: „Früher war alles gar nicht so schlecht.“ Und als sei es als dramaturgischer Höhepunkt dieser Parade der Peinlichkeiten so inszeniert, intoniert Ines Paulke schließlich die Schnulze: „Die Vergangenheit ist eine fremde Frau.“

Im Foyer der kleinen Revue, wo die emaillierten Kacheln mit ihren geometrischen Figuren und die Tiffany nachempfundenen Deckenleuchten noch immer einen Hauch von Sozialismus vermitteln, ist nach der Show endlich Zeit zur Begegnung. „Eine gute Gelegenheit, nette Leute wiederzusehen, die man in den turbulenten Nachwendejahren aus den Augen verloren hat“, so hatte die Super Illu ihre Gäste geködert, und offensichtlich war dies nicht zuviel versprochen. So mancher Gast summt ein paar Takte einer bekannten Melodie, wiegt sich rhythmisch in den Hüften, lacht und fällt einem Kollegen in die Arme. Shakehands und Schulterklopfen hier, Bussi da, die Stimmung ist ausgezeichnet. „Seit es die Komitee-Sitzungen nicht mehr gibt“, seufzt Dagmar Frédéric schließlich in eines der vielen ausgestreckten Mikrofone, „sehen wir uns leider nicht mehr so häufig.“

Über das „Komitee für Unterhaltungskunst“ kontrollierte und steuerte die SED die Unterhaltungsszene der DDR. Wer mit der leichten Muse hauptberuflich sein Geld verdienen wollte, der war gut beraten, hier Mitglied zu werden. Klaus Renft, wie sollte es anders sein, hatte, so wie andere, die an diesem Abend ganz fehlen, mit dem etablierten sozialistischen Unterhaltungsgeschäft nie viel zu tun gehabt. Christoph Seils