■ Das Rumänien Iliescus entfernt sich vom zivilen Europa
: Geschichte eines Mißverständnisses

Vor gut fünf Jahren, nicht lange nach dem Sturz Ceausescus, entrüstete sich das gerade freie Rumänien über eine düstere Prophezeiung. Silviu Brucan, einst vom Diktator geschaßter Parteiideologe und heute graue Eminenz des rumänischen Fünfziger-Jahre-Kommunismus, hatte damals kalt und zynisch konstatiert: Zwanzig Jahre werde es dauern, bis in Rumänien halbwegs demokratische Verhältnisse herrschten. Heute, fünf Jahre später, sieht es nicht nur so aus, als würde Brucan recht behalten. Mehr: Es scheint, als sei er zu optimistisch gewesen.

Am 28. September jährt sich zum zweiten Mal die Aufnahme Rumäniens in den Europarat, das höchste europäische Menschenrechtsgremium. Keine der Bedingungen, die seinerzeit von den Europarats-Abgeordneten an die Aufnahme geküpft wurden, ist erfüllt worden. Im Gegenteil: In den vergangenen zwei Wochen, seit die Parlamentarier aus ihren Sommerferien an die legislative Arbeit zurückgekehrt sind, haben sie (einschließlich der sogenannten Demokratischen Opposition) schockierende Beweise ihres Demokratie- und Toleranzverständnisses geliefert: Homosexualität bleibt weiterhin strafbar, wenn sie einen öffentlichen Skandal auslöst. Verleumdung, Beleidigung und Verspottung von Staatsdienern, ihren Ehegatten und Verwandten in der Presse wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Und das jüngste Werk der Legislative: „Beleidigung der rumänischen Nation“. Laut dem Artikel dürfen (bei Strafe von bis zu drei Jahren Gefängnis) in der Öffentlichkeit keine nichtrumänischen Fahnen mehr gezeigt, keine Nationalhymnen anderer Länder mehr gesungen werden.

Drei aktuelle Beispiele von Dutzenden. Ist Rumänien für Europa verloren? Kein Appell westlicher Gremien und Politiker hat geholfen. Die regierende Oligarchie um den Staatspräsidenten Ion Iliescu namens „Partei der sozialen Demokratie“ ist mittlerweile auf ähnlichem Niveau angelangt wie ihre nationalistischen, chauvinistisch-kommunistischen und neofaschistischen Koalitionspartner, die die Atmosphäre im Lande seit Jahren mit ihren Hetzkampagnen gegen alles Nichtrumänische vergiften.

Eine junge rumänische Publizistin, Alina Mungiu, nennt die Geschichte der vergangenen fünf Jahre deshalb die „Geschichte eines Mißverständnisses“. Das Mißverständnis, daß der Sturz des Diktators im Dezember 1989 irgend etwas mit dem Wunsch nach Freiheit, Demokratie und einer zivilen Gesellschaft zu tun hatte. Ein Mißverständnis mit weitreichenden Folgen: Man muß sich wohl damit abfinden, daß die Grenzen eines zivilen Europas woanders zu ziehen sind als seine geographischen. Keno Verseck