Die Nato spaltet Bulgarien

■ Staatspräsident Schelew will in die Allianz, Premier Widenow lehnt dies ab

Bukarest (taz) – Der russische Ultranationalist Wladimir Schirinowski, auf Urlaub in Bulgarien, macht dort wieder Schlagzeilen. Schon einmal, Ende 1993, war er für eine Äußerung über die „Reintegration Bulgariens in die russische Förderation“ aus dem Balkanland ausgewiesen worden. Diesmal ging Schirinowski nicht ganz so weit. Er sprach lediglich davon, daß unter russischer Führung ein neuer osteuropäischer Militärblock gegründet werden müsse, der die Ukraine, Weißrußland, Bulgarien, Serbien, Mazedonien und „andere“ einschließen solle. Begründung: der Balkan sei für den Westen ein „Schießstand“, auf dem er seine Waffen teste.

Kaum jemand in Bulgarien wirft Schirinowski diesmal vor, daß er sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einmische. Im Gegenteil: Der Ultranationalist formuliert in undiplomatischen Worten die derzeitige Grundlinie der Außenpolitik der bulgarischen Regierung. Seit die Sozialisten Sofias, die Nachfolger der Kommunisten, Ende letzten Jahres die Wahlen gewannen, nähert sich das Land politisch und wirtschaftlich zunehmend Rußland an.

Sofias Waffenversorgung sichert Moskau

Zumindest von letzterem war in dieser Woche auch in Moskau die Rede. Dort hatte der bulgarische Ministerpräsident Shan Widenow sich mit seinem Amtskollegen Viktor Tschernomyrdin getroffen. Im Rahmen von mehreren Dutzend gemeinsamen Wirtschaftsprojekten liefert Rußland unter anderem Waffen im Wert von 500 Millionen Dollar nach Bulgarien und garantiert auch die langfristige Versorgung Sofias mit Rüstungsgütern. Vereinbart wurde auch ein Projekt zum Bau einer Erdgasleitung von Rußland nach Bulgarien und Griechenland sowie eine gemeinsame russisch-bulgarische Freihandelszone am Schwarzen Meer.

Obwohl offiziell nicht Thema, dürfte es bei den Gesprächen auch um die Nato und eine eventuelle Mitgliedschaft Bulgariens in ihr gegangen sein. Denn der Streit darum hat in der bulgarischen Politik gegenwärtig einen neuen Höhepunkt erreicht. Während die Sozialisten einer Nato-Mitgliedschaft Bulgariens ablehnend gegenüberstehen und die Bevölkerung darüber in einem Referendum entscheiden lassen wollen, tritt der bulgarische Staatspräsident Schelju Schelew für eine Nato-Mitgliedschaft ein und hat die Regierung unter Widenow in den letzten Monaten mehrmals beschuldigt, keine entsprechenden Schritte dafür unternehmen zu wollen und auch ansonsten die Beziehungen zum Westen zu verschlechtern.

„Naive Annäherung an den Westen“

Nach den kürzlichen Äußerungen des russischen Präsidenten Jelzin über die Nato hatte Schelew letzte Woche in einem Radiointerview in bisher einmalig scharfer Form russische Bestrebungen verurteilt, sich in Bulgariens Angelegenheiten einzumischen. Allein Sofia sei berechtigt, in der Frage der Mitgliedschaft in der westlichen Allianz zu entscheiden.

Demgegenüber wirft der Sozialisten-Chef Widenow dem Staatspräsidenten Schelew vor, er betreibe eine „naive“ Politik der Annährung an den Westen und habe die früher guten Beziehungen zu Rußland gemeinsam mit den nach 1990 amtierenden Demokraten zerstört.

Zwar hat kürzlich die von der Opposition dominierte außenpolitische Kommission des bulgarischen Parlamentes entschieden, Rußland keine Überfluggenehmigung für seine Flugzeuge zu erteilen, die – laut offiziellen Angaben – humanitäre Hilfsgüter nach Serbien liefern wollen. Dennoch scheinen dadurch die seit dem Amtsantritt der sozialistischen Regierung intensivierten Beziehungen zu Rußland nicht getrübt zu sein. Der russische Innenminister Anatoli Kulikow, der gerade zu einem Besuch in Bulgarien weilt, meinte dort, der Augenblick sei gekommen, in dem Moskau und Sofia ihre Uhren wieder synchron stellen könnten. Und tatsächlich: Bulgarien ist – außer Rußland – das einzige Land des ehemaligen Warschauer Paktes, daß keinen Antrag auf Nato-Mitgliedschaft gestellt hat. Keno Verseck