Gigantischer Datenpool über AusländerInnen

■ Verfassungsbeschwerde gegen das Ausländerzentralregistergesetz

Wiesbaden (taz) – Wenn es um das Aushorchen von MigrantInnen geht, sind den deutschen Behörden kaum Schranken gesetzt. Datenfutter liefert das Ausländerzentralregister (AZR) in Köln, wo seit über einem Jahr Infos aller Art ganz legal von Standesbeamten, Geheimdiensten und anderen Behörden abgerufen werden können. Dagegen wollen sich neun Angehörige hessischer Ausländerbeiräte nun wehren. Sie haben gestern beim BVG in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das Gericht soll prüfen, ob es dem Grundgesetz entspricht, daß in der Bundesrepublik zwei Daten„schutz“regelungen nebeneinander existieren. Eine „echte“ für Deutsche und eine „vorgetäuschte“ für MigrantInnen.

Die Karlsruher Beschwerde wird sich auf die Ergebnisse einer von dem Dachverband der Ausländerbeiräte in Hessen (AGAH) in Auftrag gegebenen Expertise stützen. Sie ist vom Frankfurter Staatsrechtler Günter Frankenberg ausgearbeitet und am Donnerstag im Wiesbadener Landtag vorgestellt worden.

Der Katalog erfaßter Daten bei den Nichtdeutschen geht über das Name-Adresse-Beruf-Raster deutlich hinaus, so die Studie. Gespeichert werden Fahndungsmerkmale, Dauer von Bezügen aus der Sozialkasse, polizeiliche Kommentare und einreiserelevante Informationen. Für jede(n) Nichtdeutsche(n) – ob AsylbewerberIn, MigrantIn oder GaststudentIn –, der/ die einmal deutschen Boden betreten hat, wird diese Akte angelegt. Auch deutsche Ehepartner sind im Ausländerzentralregister gespeichert – und zwar für einen Zeitraum von 10 Jahren, selbst nach Trennungen und Scheidungen. Das geschieht seit Juli 1994 ganz offiziell auf gesetzlicher Grundlage.

Der Datenpool über zehn Millionen in Deutschland lebende AusländerInnen ist beim Bundesverwaltungsamt in Köln angesiedelt. Öffentliche und nichtöffentliche Stellen dürfen sich zum Teil im Computer-Online-Verfahren quasi ohne jegliche Hürde bedienen. Daten nach Köln übermitteln müssen laut Ausländerzentralregister alle (!) bundesdeutschen Ämter, sobald sie mit Nichtdeutschen in Berührung kommen. Weil AusländerInnen dem Ausländerrecht unterworfen sind und Behörden für alles mögliche aufsuchen müssen, erhält man von jedem einzelnen einen nahezu idealen Lebenslauf.

Murat Cakir, Vorsitzender der AGAH, kritisierte das AZRG als ein Instrument zur perfekten Erfassung und Kontrolle der nichtdeutschen Bevölkerung, das seinesgleichen suche. Das Ausländerzentralregister habe die MigrantInnen zu einer gläsernen Masse degradiert. Es sei ein Skandal, daß „ohne die Einwilligung oder nur die Information der Betroffenen persönliche Daten staatlichen und auch nichtstaatlichen Stellen ausnahmslos offenbart werden. Jeder Deutsche würde dagegen mit Anwälten und Gerichten Sturm laufen, uns aber sind rechtlich die Hände gebunden.“

Tatsächlich sind in dem AZRG keine einklagbaren Rechte vorgesehen. Wer über den Umfang der erfaßten Daten über seine Person informiert werden will, ist auf die Auskunftsbereitschaft des Kölner Bundesverwaltungsamtes angewiesen. Es allein entscheidet, ob und wieviel man was erfährt. Im Gesetz steht lediglich, daß dem Ausländer auf Anfrage die Daten mitzuteilen sind, „sofern sie den Speicherzweck nicht gefährden“ würden. Es muß nicht besonders betont werden, daß die Behörde fast alle Fälle zu Sonderfällen kürt.

Auch AsylbewerberInnen können nicht sicher sein, was mit ihren Aussagen passiert. Auf das AZR haben „befreundete“ Geheimdienste Deutschlands Zugriff. Die Türkei ist ein „befreundetes“ Nato-Land, für das Daten über KurdInnen von hohem Interesse sind. In die Hände von Verfolgerstaaten geraten auf diese Weise auch Abflugtermine von Abschiebungen, fast alle Dokumente zur Antragstellung als politischer Flüchtling. Die Inhalte des AZR seien verfassungswidrig, weil sie gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) verstoßen, so Staatsrechtler Frankenberg. Bei Nichtdeutschen könne allenfalls von „Datenschutz zweiter Klasse“ die Rede sein. Franco Foraci