Kein Fisch, kein Ausflug, kein Restaurantbesuch

■ Nur drei hielten durch: 80 Freiwillige versuchten, von Sozialhilfe zu leben

Wer zum Kindergeburtstag geht, muß ein Geschenk mitbringen. Klare Sache. Ein Pack Legosteine, Playmobil sollten schon drin sein. Sind es aber nicht, wenn erstens alle Naselang ein Kindergeburtstag anfällt und zweitens die vierköpfige Familie nur den Sozialhilfesatz zum Leben hat. „1.500 Mark im Monat – damit waren wir von vielem ausgeschlossen!“ sagt Marianne Fünfrocken. Mit 75 anderen Freiwilligen hatte Familie Fünfrocken versucht, sechs Wochen lang von Sozialhilfe zu überleben. Nur drei hielten den von der Caritas organisierten Versuch im Saarland durch. Die Fünfrockens gaben nach vier Wochen auf.

Das mit dem Essen ginge noch, erzählt Marianne Fünfrocken. Der geliebte Fisch und die teuren Bioprodukte verschwanden zwar von der Speisekarte, aber die Familie mußte nicht hungern. Nein, schlimm war der Verzicht „auf die vielen Selbstverständlichkeiten, die man sonst gar nicht wahrnimmt“. Da waren zum Beispiel die Regenjacken im Sonderangebot. Praktisch für die beiden Kinder. Und billig, nur 60 Mark für beide. Aber zu teuer für Sozialhilfeempfänger. Oder die Neon- Buntstifte, 2,50 Mark das Stück, alle Schulkameraden haben ein Set – zu teuer. Die Einladung von Freunden, zusammen essen zu gehen: 80 Mark, auch wenn's nur die Pizzeria ist. Unmöglich. Und dann der Sonntagsausflug. 18 Mark kosten die öffentlichen Verkehrsmittel. Gestrichen, gehen wir halt wieder nur ums Karree spazieren. Erst wer arm wird, merkt, daß Kommunikation und Lebensfreude hierzulande mit Geldausgeben verbunden sind.

Ein Blick in den Sozialhilfe-Warenkorb zeigt die Misere: Fast die Hälfte des Regelsatzes ist für Nahrungsmittel und Getränke veranschlagt. Eine vierköpfige Familie mit mittlerem Einkommen dagegen gibt nicht mal ein Drittel ihres Haushaltsgeldes für Lebensmittel aus. Aber 450 Mark für Bildung, Unterhaltung, Freizeit. 650 Mark für Bekleidung, Schuhe, Möbel. Und dann die vielen spontan anfallenden Reparaturen, die jedem Sozialhilfeempfänger den Angstschweiß auf die Stirn treiben.

Bei Fünfrockens ging schon am zweiten Tag des Großversuchs die Waschmaschine kaputt. Macht 230 Mark. Vorsorglich hatte die Caritas den Versuchs-Armen geraten, eine „Sündenliste“ anzulegen. Darauf kamen die Extras, die man sich eigentlich gar nicht leisten konnte. So auch die Waschmaschinenreparatur und das Geschenk für die Silberhochzeit (50 Mark). „Die Sündenliste wurde immer länger“, schildert Fünfrocken. Die Familie brach den Versuch ab, mit den allermeisten ihrer Armuts-Genossen.

„Am schwersten fällt den Kindern der ständige Verzicht“, sagt Marianne Fünfrocken. Das zeigt auch das Ergebnis des Experiments: Nur ein Junggeselle und ein Ehepaar ohne Kinder schafften es, die selbstauferlegte Armut sechs Wochen lang durchzuhalten. A. Wagnerova/BD