Bremens SPD erklärt ihren Bankrott

■ Parteivorstand hält Apparat für „unbezahlbar“, vertagt aber die überfällige Strukturreform

Die Bremer SPD steht finanziell wie personell vor dem Bankrott. In den vergangenen 15 Jahren hat sie 46 Prozent ihrer Mitglieder verloren und droht 1995 unter die 9.000er-Grenze zu sinken. Ein Drittel der übriggebliebenen GenossInnen sind inzwischen älter als 60 Jahre. Damit fällt die Bremer SPD „im Bundesvergleich (auch Großstädte) durch die schlechteste Mitgliederentwicklung auf“.

Ihre Organisationsstruktur ist „völlig unangemessen“, der Einsatz ihrer MitarbeiterInnen „ineffektiv“ und der Apparat „unbezahlbar“. Seit 1994 decken die Mitgliedsbeiträge noch nicht einmal mehr die laufenden Personal- und Bürokosten. Seit dem Wahldesaster vom 14. Mai muß die Bremer SPD sogar mit „jährlichen Mindereinnahmen von ca. DM 100.000“ rechnen. „Für alle politischen Aktivitäten ist dies die Bankrotterklärung. Wahlkämpfe und politische Aktivitäten können nicht mehr stattfinden.“

So steht es in einem Papier des Landesschatzmeisters Heiner Erling, das der Landesvorstand bereits im August diskutiert hat (vgl. die auszugsweise Dokumentation auf dieser Seite). Doch Konsequenzen hat die SPD-Führung aus der unumstritten dramatischen Situation bis heute nicht gezogen. Im Gegenteil: Am Donnerstag abend vertagte der Landesvorstand zum wiederholten Mal die Diskussion um eine neue, effektivere Struktur des Landesverbandes – diesmal auf den 20. Oktober.

Einigkeit gibt es unter den führenden SPD-Funktionären bisher nur darüber, daß sich dringend etwas ändern muß. Doch schon bei der Frage, in welche Richtung die Reise gehen soll, stehen sich zwei völlig gegensätzliche Positionen gegenüber. Während der nach dem Rücktritt von Tine Wischer übriggebliebene geschäftsführende Rest-Vorstand – Heiner Erling, Detlev Albers und Uwe Mögling – mit vier „Stadtbezirken“ die Einführung einer zusätzlichen Organisationsebene zwischen Unterbezirken und Ortsvereinen vorschlägt, fordert der Vorstand des größten Bremer SPD-Unterbezirks im Osten die Zusammenlegung der drei bestehenden stadtbremischen Unterbezirke (Ost, West und Nord) zu einem einzigen. Nur so sei es möglich, „Funktionen und Gremien drastisch zu reduzieren“.

Und das dies erforderlich ist, bestreitet eigentlich niemand. Denn mit 68 Ortsvereinen, von denen 17 weniger als 100 Mitglieder haben, mit vier Unterbezirken, riesigen Parteitagen und einem bis zu 40köpfigen Landesvorstand leistet sich die Bremer SPD eine Gremienflut, die von der immer geringeren Zahl der aktiven Mitglieder längst nicht mehr zu bewältigen ist. Trotzdem konnte sich eine eigens eingesetzte Arbeitsgruppe des Landesvorstandes auf kein neues Organisationsmodell verständigen. Stattdessen sind den SPD-Landesdelegierten deshalb jetzt für die Debatte auf einem Parteitag am 28. Oktober gleich sechs verschiedene Vorschläge zugegangen.

Neben der unter Parteiinsidern verbreiteten Liebe zu Organisationsfragen verbergen sich dahinter nicht zuletzt die Machtinteressen zweier Funktionäre, die beide gerne Landesvorsitzender würden. Während sich der Hochschullehrer Detlev Albers dabei den Einfluß von Ortsvereinen und Unterbezirken auf den Landesvorstand mit zusätzlichen Gremien möglichst weit vom Hals halten möchte, sieht der Richter Wolfgang Grotheer seine Chance eher im Abbau der vielen Zwischeninstanzen. Albers spekuliert dabei auf die Unterstützung der kleineren Parteigremien im Norden und Westen, deren Bedeutung bei einer Zusammenlegung zu einem einzigen Bremer Unterbezirk stark sinken würde. Grotheer, bisher Vorsitzender des stärksten Unterbezirks Ost, setzt dagegen auf den Wunsch der Mehrheit nach übersichtlicheren Verhältnissen.

Noch nicht einmal andiskutiert sind dabei bisher im Landesvorstand zwei Themen, die die Bremer SPD mittelfristig noch weit stärker verändern könnten als neue Parteistrukturen. So fordert Schatzmeister Erling nämlich die Rücknahme der strengen Trennung zwischen Amt und Mandat, Mitglieder des Senats sollten auch wieder für den Landesvorstand kandidieren dürfen. Und außerdem sollte bei der Aufstellung der SPD-Liste zur Bürgerschaftswahl künftig etwas erlaubt sein, was angesichts des strengen parteiinternen Regional- und Cliquenproporzes bisher völlig undenkbar war. Erling: „Auf dem Parteitag muß die Möglichkeit zur Veränderung gegeben werden.“

Dirk Asendorpf