Noch viele Stellen frei

■ An den Waldorf-Schulen werden Lehrer gesucht. Zwölf Waldorf-Institute bieten Aus- und Weiterbildungen für Erzieher, Heilberufler und Künstler an

„Wir können unseren jährlichen Bedarf an Lehrern nur zur Hälfte decken“, sagt Walter Hiller, Geschäftsführer des Bundes Freier Waldorfschulen. Kaum zu glauben, gelten Pädagogen für die staatlichen Schulen doch häufig als Akademiker mit Arbeitslosendiplom. Nicht so bei den Rudolf- Steiner-Erben: Kindergärtner, Sozialpädagogen, Lehrer und Heilpädagogen haben die freie Auswahl, wo es ihnen denn beliebt zu arbeiten. Allerdings stellen die Waldorf-Einrichtungen nur jemanden ein, der die Grundlagen der Anthroposophie während eines Aus- bzw. Weiterbildungslehrgangs verinnerlicht hat.

Lehrerseminare veranstalten zwölf Waldorf-Institute in der Bundesrepublik. Die meisten berücksichtigen, daß viele ihrer Kursteilnehmer bereits im Berufsleben stehen oder eine Familie haben und bieten neben den Vollzeitseminaren die sogenannte berufsbegleitende Ausbildung an. Sie findet entweder abends oder am Wochenende statt und dauert circa zwei bis drei Jahre. In den berufsbegleitenden Kursen werden nur die anthroposophischen Grundlagen und die Waldorf-Pädagogik gelehrt.

Mehr als diese Basiskenntnisse lernt der Steiner-Fan in den Vollzeitseminaren, die den Studenten den ganzen Tag über beanspruchen. Welche Fächer in diesen Kursen trainiert werden, ist unterschiedlich. Das Lehrerseminar für Waldorf-Pädagogik in Kassel beispielsweise hat einen naturwissenschaftlichen Schwerpunkt, das Wittener Institut für Waldorf-Pädagogik gilt als führend für Fremdsprachen. Die Vollzeitseminare dauern zwischen ein und zwei Jahren, am Wittener Institut für Waldorf-Pädagogik und an der Stuttgarter Freien Hochschule können richtig Begeisterte auch vier Jahre lang einen Lehrgang machen.

Vollzeit- und berufsbegleitende Seminare unterscheiden sich aber auch im Lernalltag: In Kiel beispielsweise besteht eine Gruppe in keinem Fall aus mehr als zwanzig Personen, während anderswo bis zu 35 Wißbegierige einem Seminarleiter lauschen. Weitere erwähnenswerte Besonderheit in Kiel: Die erste praktische Unterrichtszeit des frischgebackenen Pädagogen vor den Kids an der Schule betreut sein Dozent noch mit. In Mannheim muß jeder Student einem zugeteilten Kind bei den Hausarbeiten helfen. Die Mannheimer sind außerdem bekannt für ihre Arbeit in sozial schwachen Schichten. Wer dagegen in Witten lernt, muß im Institutshaus, im angeschlossenem Park oder in der Küche mit anpacken.

Die Kosten pro Kurs liegen zwischen 100 und 250 Mark pro Monat. Wem das zu teuer ist, der kann in Witten oder Mannheim ein zinsloses unbefristetes Darlehen bekommen. „Wir nehmen die Studiengebühr ein und verteilen das Geld dann zurück“, erklärt Ernst Schuberth, Dozent an der Freien Hochschule in Mannheim. Einige Seminare werden auch von den Arbeits- bzw. Bafög-Ämtern finanziert. Ausgebildete Waldorf- Pädagogen verdienen ungefähr das gleiche wie ihre Kollegen an staatlichen Schulen, wobei die Anthroposophen im Gegensatz zur öffentlichen Hand ihren Grundschullehrern das gleiche bezahlen wie ihren Gymnasiallehrern.

Voraussetzung für die Teilnahme an den Kursen ist oft ein Hochschulstudium. Manchmal reicht das Abitur oder Abitur mit abgeschlossener Berufsausbildung, sehr selten die mittlere Reife. Das einzige, aber wichtige Problem bei Kursteilnehmern ohne Universitätsabschluß oder staatliches Paukerexamen ist: Ob sie später in einer Waldorfschule arbeiten dürfen, entscheidet die jeweilige Schulbehörde. Dabei haben die Ämter einen weiten Ermessensspielraum, und die Ergebnisse sind von Beamten zu Beamten unterschiedlich.

Staatlich anerkannt dagegen sind die Ausbildungslehrgänge zum Kindergärtner, Heilpädagogen und für die Krankenpflegeberufe. Teilnehmer eines Seminars für Sozialpflege sind an dessen Ende dem staatlich geprüften Heilerziehungspfleger gleichgestellt. Wer diese Berufe an einer Waldorfeinrichtung erlernt, kann danach also überall arbeiten. Der Kindergärtnerlehrgang dauert vier Jahre, Sozialpfleger bzw. Therapeut sowie Krankenpfleger ist man nach drei bis vier Jahren, nur angehende Heilpädagogen müssen mindestens fünfeinhalb Jahre lernen. Wer nicht mehr so viel Zeit hat und schon im Beruf ist, kann auch hier eine Zusatzausbildung machen oder ein berufsbegleitendes Seminar belegen. Dafür gibt es aber nur einen Teilnahmeschein, der allein zur Arbeit in Waldorfeinrichtungen berechtigt. Damit der Chef nicht hintanstehen muß, bieten vier anthroposophische Kliniken Fortbildungskurse für Ärzte und Medizinstudenten an.

Wer von den herkömmlichen Heilberufen und -methoden nicht viel hält, kann Künstlerische Therapie oder Heileurythmie lernen. Künstlerische Therapie ist ein neuer Berufszweig. Ausgangspunkt ist, daß der Schmerz dann zurückgeht, wenn der Patient musiziert, malt, plastiziert oder handwerklich arbeitet. Durch solche Tätigkeiten würden die von der Krankheit verdrängten Kräfte wieder aktiviert. Um diese kräftelösenden Fähigkeiten zu erlernen, muß der Student denn auch drei bis fünf Jahre in die Ausbildung und im Schnitt 300 Mark im Monat auf den Tisch legen.

Auf ihren Stundenplänen finden alle Waldorfstudenten und -kursteilnehmer zur Hälfte Fächer wie „Musikalisches Improvisieren“, „Zeichnen“, „Plastizieren“ oder „Aquarellieren“. Es gehört zur Grundidee der Steinerschen Lehre, daß künstlerisches Arbeiten die Phantasie anregt und die Entwicklung des Menschen vorteilhaft beeinflußt. Wer sich ausschließlich mit Anthroposophie und Kunst beschäftigen will, kann Seminare besuchen, die zum Kunsterzieher ausbilden. Für berufstätige Architekten und Baufachleute bietet ein Institut in Stegen bei Freiburg ein Seminar zur Raumtherapeutik an.

Wer mehr wissen möchte, der kann das 100 Seiten dicke „Verzeichnis anthroposophischer Ausbildungs- und Studienstätten“ bei der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland anfordern, Rudolf Steiner Haus, Zur Uhlandshöhe 10, 70188 Stuttgart. Darin sind alle Adressen und Seminarangebote der rund 70 Aus- und Weiterbildungseinrichtungen in Deutschland aufgeführt. Nina Kaden