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Mehr Aufarbeitung

■ Arfst Wagner zur Debatte über Anthroposophie und Rassismus: Sachlichkeit und andere Probleme

Die taz-Ausgabe vom 11./12. März 1995 hat innerhalb anthroposophischer Kreise zu Bestürzung, aber auch zu der Einsicht geführt, sich intensiver mit der betreffenden Thematik auseinanderzusetzen. Das erstere ist verständlich, letzteres erfreulich.

Seit 1980 hatte ich mich sehr intensiv – vergeblich – um die Bildung von anthroposophischen Arbeitskreisen zu dem gesamten Thema Rassismus/Nationalsozialismus bemüht, wobei ich in verschiedensten Aufsätzen und Artikeln zwei zentrale Punkte ansprach: Zunächst muß die Aufarbeitung der eigenen Geschichte der Anthroposophischen Bewegung in der Zeit des Nationalsozialismus und die Auseinandersetzung mit rechtslastigen Tendenzen und Aktivitäten einiger anthroposophischer Freunde genannt werden. Diese ist in der letzten Zeit einen wesentlichen Schritt weitergekommen. Auf dieser Grundlage ist des weiteren die Klärung der Frage, was Anthroposophie zum Themenkomplex Nationalsozialismus zu sagen hat, zu nennen.

Insgesamt waren die Reaktionen auf das Interview mit mir vom 11./12. März 1995 erfreulich. Neben einigen wenigen (allerdings ungeheuerlichen) Beschimpfungen (für manche bin ich jetzt deutlich ein Gegner der Anthroposophie) habe ich insbesondere von offizieller anthroposophischer Seite erfreuliche Rückmeldungen erhalten.

Die weniger erfreulichen Reaktionen aus der Anthroposophenschaft brachten zum Teil ergänzende Aspekte, zum großen Teil beruhten sie leider auf lückenhafter Kenntnis oder gar vollständiger Unkenntnis der Fakten, so daß von einer tieferen Einsicht durch Erarbeitung der zentralen Problematik nur selten ausgegangen werden konnte.

Der Nationalsozialismus hat ganze kulturelle Strömungen verschluckt und vergiftet. Auch das Wort, die Sprache sind davon berührt worden. Die „Umwertung aller Werte“ ist den Nationalsozialisten hier leider außerordentlich gut gelungen. So ist einerseits ein naiver Gebrauch der Sprache in dem betreffenden Zusammenhang unmöglich geworden, andererseits werden wir gerade dadurch aufgefordert, Begriffe bewußter zu verwenden. „Mission des Deutschtums“ oder „Volksseele“, Begriffe, wie sie in den zwanziger Jahren zum anthroposophischen Stammvokabular gehörten, sind in dieser Form kaum noch zu gebrauchen, wenn man nicht mißverstanden werden will. Daß es Menschen gibt, die, wenn sie das Wort „Volksseele“ oder „Volksgeist“ hören, diese Worte gleich mit nationalsozialistischen Inhalten denken, braucht nicht zu verwundern. Es ist aber im Grunde letztlich das Problem dieser Menschen selbst, wenn ihnen nur der nationalsozialistische Begriff zur Verfügung steht. Anthroposophische Redner müssen dies allerdings berücksichtigen, und zwar nicht, um angebliche faschistoide Inhalte zu tarnen, sondern weil diese Worte heute in der Öffentlichkeit mit anderen Begriffsinhalten belegt sind. Und das gilt selbstverständlich auch für ein Wort wie „Rasse“.

Die Anthroposophische Bewegung ist eine vielfältige. Hier finden sich politische Einstellungen nahezu jeder Couleur. Vielleicht wäre es auch leicht „nachzuweisen“, daß die Anthroposophen Kommunisten sind oder gar Handlanger von Weltverschwörern und Freimaurern (all das ist sogar bereits versucht worden, besonders von den Nationalsozialisten). Liest man so das Werk Rudolf Steiners, wie das Jutta Ditfurth oder auch Volkmar Wöhlk tun, dann könnte man auch Karl Marx' Antisemitismus aus dessen Werken und besonders auch Luther als einen solchen erkennen (was auf Luther vielleicht sogar tatsächlich zutrifft). Daß in anthroposophischen Kreisen gelegentlich auch Weltverschwörungstheorien kursieren, hier und da auch ein Freimaurerhaß existiert, ist ein noch weitgehend unberührtes Problem, das anderenorts einmal einer Erörterung bedarf.

Rudolf Steiner war kein Rassist. Er selbst verwies die Gültigkeit der Rassenlehre ins alte Atlantis. Es gibt aber Aussagen Rudolf Steiners, die aus heutiger Sicht (nach Auschwitz) ganz anders klingen als zu Beginn dieses Jahrhunderts. Sie können in manchen Ohren heute rassistisch klingen. Und so mußte ich sagen, daß die „Kulturepochenlehre“ Rudolf Steiners als „Rassismus in kulturellem Gewand“ verstanden werden kann. Sie ist es nicht, da sie mit „Rassen“ überhaupt nichts zu tun hat.

Aber so ganz leicht ist es auch nicht. Die Bezeichnung für die gegenwärtige Kulturperiode ist nach der anthroposophisch-orientierten Geisteswissenschaft zum Beispiel die „germanisch-angelsächsische Kulturperiode“. Allein diese eine Bezeichnung macht deutlich, wie leicht Anthroposophie in manchen Punkten mißverstanden werden kann, denn sie formuliert in kultureller Hinsicht eine Art Führungsanspruch, auch wenn dieser keine moralische Wertung bedeutet.

Kürzlich nahm ich an einer Podiumsdiskussion teil, die im Zusammenhang mit einer Aufführung des Waldorf-kritischen Films „Ich lobe das Wort“ stattfand. Im Verlaufe der Diskussion wurde von einem Kritiker behauptet, an Waldorfschulen seien mehr blonde und blauäugige Schüler zu finden als an anderen Schulen. Ich fragte, ob das denn auch für die Schule in Johannesburg gelte. Antwort: „Das sind ja auch keine richtigen Waldorfschüler.“ Meine Frage: Wo liegt hier eigentlich der Rassismus? Mein Vorschlag: Kehren wir uns in der Debatte um den angeblich rassistischen Charakter der Anthroposophie zur Sachlichkeit („zurück“ kann ich nicht schreiben, denn diese existierte noch nicht). Und betreiben wir dort Kritik, wo sie zur produktiven Aktivität aufruft, nicht zur Denunziation!

Insgesamt ist bei der Bewältigung der schwierigen Probleme, in denen wir am Jahrtausendende stehen, mit der Anthroposophie und den AnthroposophInnen (hoffentlich) in diesem Sinne zu rechnen.

Der Autor ist Mitherausgeber der Anthroposophischen Flensburger Hefte

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