■ Was tun angesichts sozialdemokratischer Schwindsucht?: Das Strategiedilemma der Grünen
Grün ist wieder in in Deutschland. Mehr als je zuvor. Das ist schön. Aber Schwarz ist ebenfalls in. Und zwar noch mehr als je zuvor im Jahr nach einer Bundestagswahl. Das ist weniger schön – jedenfalls für alle, die von rot-grünen Perspektiven oder auch nur vom Machtwechsel am Rhein träumen. Der Stern des Kanzlers strahlt. So hell, daß unser Joschka wohl der zweite Aufsteiger des Jahres, aber eben nur der zweite Sieger bleibt.
Derweil versinken die deutschen Sozialdemokraten in bislang kaum vorstellbaren politischen und menschlichen Tiefen. Dem entsetzten Betrachter präsentieren sie eine Melange aus altmodischer Biederkeit und postmoderner Egomanie. Auf der Strecke bleibt dabei der letzte Rest rot-grünen Reformercharmes. Die Krise der SPD bringt zudem leider kein rot- grünes Nullsummenspiel hervor. Auf absehbare Zeit haben die Grünen keine Chance, den Abstieg der Sozialdemokraten durch ihren eigenen Aufstieg voll zu kompensieren.
So nimmt es nicht wunder, daß die Zahl derer wächst, die den Grünen – offen oder heimlich – einen baldigen Strategiewechsel empfehlen. Ginge es in der Politik heutzutage nur um Medienimage und Stilmittel, man könnte solchen Ratgebern folgen. Aber zum Glück spielt auch in der modernen politischen Medienwelt noch die nüchterne Realität von Programmen, Konzepten und Gesetzentwürfen eine Rolle.
Und ein nüchterner Blick auf eben diese Realität lehrt, daß trotz mancher nicht unbeachtlicher Zwischentöne und atmosphärischer Lockerungsübungen Welten liegen zwischen der Union und den politischen Vorstellungen auch von Realogrünen. Ob Ausländerpolitik, Deregulierung und Sozialabbau, ob Medienpolitik und Atomausstieg, Ökosteuer, Ozon oder Subventionspolitik – die Distanzen sind enorm und allemal größer als zwischen Rot und Grün. Hinzu kommen Milieuprobleme: Trotz eines Anstiegs der Schwarz- Grün-Anhänger in der Wählerschaft bleiben die beiderseitigen Ressentiments in den jeweiligen Anhängerschaften groß. Man mag das ja im Jahre sechs nach dem Ende der Ostblocksysteme und der folgenden Entideologisierung aller Politik für unzeitgemäß halten, aber die Wähler empfinden nun einmal so.
Bislang hat die Union von den zarten Lockerungsübungen gegenüber den Grünen trotz aller grünen Ansehensgewinne durch die Abstimmungskoalition für Antje Vollmer im letzten Herbst eher profitiert als die Grünen selbst. Einmal deshalb, weil zarte, aber letztlich unverbindliche Öffnungssignale gegenüber den Grünen der Union helfen, diese als Schub eigener Modernität jedenfalls symbolisch darzustellen, die mit zu den Voraussetzungen für die eigene Machterhaltung in dieser Zeit zählt. Zum anderen ist für die Union ein grün angehauchter Minderheitenflügel, der dann und wann auch ein paar kleine Erfolge vorweisen darf, in dieser Zeit ähnlich nützlich, wie das einmal die Sozialausschüsse waren. Das Erfolgsgeheimnis der Regierung Kohl ist nie eine Politik des ideologischen Hardlinertums, sondern, gerade umgekehrt, die Fähigkeit gewesen, verwertbare Einzelaspekte aus den Forderungskatalogen der politischen Gegner in die eigene Politik einzubauen und umzusetzen.
Freilich wäre auch eine schroffe schwarz-grüne Diskursverweigerung für die Grünen riskant. Sollten die Grünen unter den Bedingungen anhaltender SPD-Schwäche einen Kurs hermetischer Abriegelung gegenüber anderen Optionen praktizieren, könnte dies mittelfristig der FDP eine neue Chance eröffnen. Einer FDP, die es verstünde, mit grünen Themen und gemäßigteren Abwandlungen grüner Forderungen Profilierungserfolge innerhalb der Bonner Regierungskoalition zu erzielen, könnte mit größerer Aussicht auf Erfolg wieder in den Wettbewerb um bürgerlich-modernistische Wähler der Grünen treten.
Diskursoffenheit nach allen Seiten ist demnach bei den Grünen angesagt. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Eine ernsthafte schwarz-grüne Machtoption dagegen wäre an Bedingungen geknüpft, die bislang nicht einmal ansatzweise vorliegen. Erste Bedingung wäre die absehbare Bereitschaft einer „geißlerisierten“ Union zu wirklich substanziellen Zugeständnissen mindestens auf den Gebieten der Umwelt-, Innen- und Sozialpolitik. Eine solche Bereitschaft setzte zweitens eine Stärke der Grünen voraus, die diese jedenfalls im Bund auf absehbare Zeit kaum erreichen werden.
Da es keine grüne Äquidistanz zu Rot und Schwarz gibt, setzt eine ernsthafte schwarz-grüne Option schließlich drittens vor allem voraus, daß die SPD ihre klassische Rolle als größte Reformpartei des Landes wirklich dauerhaft verliert. Nur dann hätten die Grünen Berechtigung und Chance, andere Koalitionspräferenzen als Rot- Grün jenseits gut begründbarer Einzelfälle breit in die Gesellschaft hinein vermitteln zu können. Es gibt Indizien dafür, daß sich die SPD eines Tages so entwickeln könnte, aber das letzte Wort darüber ist noch lange nicht gesprochen. Sollte sich freilich der Eindruck einer sich allmählich überlebenden, nur Besitzstände und Status quo verwaltenden, strukturkonservativen Partei von gestern wirklich breit in der Gesellschaft festsetzen, bliebe den Grünen tatsächlich nichts anderes übrig, als umzuschalten und selbst die Führung des Reformerflügels nicht mehr nur durch lautes Rufen aus dem Beiboot zu übernehmen. Bis dahin müßten die Grünen noch viel an Gewicht zusetzen. Ein Dicker allein reicht da nicht.
Mir wäre es lieber, die Geschichte nähme einen anderen Verlauf. Denn eine solche Entwicklung setzte eine neuerliche Entmischung von SPD-Anhängern und -Mitgliedern voraus, die ohne eine Zwischenphase schmerzhafter Auseinandersetzungen zwischen Rot und Grün kaum vorstellbar ist. Wollen die Grünen tatsächlich jene Stärke erreichen, die elementare Voraussetzung für ernsthafte schwarz-grüne Anbandelungen wäre, müßten sie tiefe Einbrüche ins Lager der heute noch SPD-geneigten Postmaterialisten, der entfaltungsorientierten Mittelschichten und auch der neuen Arbeitnehmerschichten erreichen. Zurück bliebe dann nur noch der traditionalistische Rest, eine SPD, die dann eher einer vergrößerten Ausgabe der Bremer Rechtsabspaltung entspräche. Gut möglich, daß auf dem Weg dahin nicht wenige rot-grüne Bündnisse auf Kommunal- und Länderebene in die Brüche gingen. Keine sehr schöne Vorstellung.
Was bleibt demnach für die Grünen? Gewiß Diskursoffenheit und keine Nibelungentreue. Aber auch kein politisches Abenteurertum durch die vorschnelle Aufgabe von Koalitionsoptionen, die man eben nicht einfach wechseln kann wie ein schmutziges Hemd. Hubert Kleinert
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