Letzter Zug nach Kopenhagen

Deutsche und dänische Bahnen stellen die direkte Verbindung zwischen den Hauptstädten ihrer Länder ein: ein Lehrstück  ■ Aus Kopenhagen Reinhard Wolff

Gestern 23.52 Uhr, Bahnhof Lichtenberg: Zum letzten Mal geht der „Ostsee-Express“ auf die Reise von der deutschen in die dänische Hauptstadt. Mit dem neuen Winterfahrplan der Dänischen Staatsbahn verschwindet die Strecke Berlin–Kopenhagen aus den Kursbüchern. Nicht irgendeine Regionalverbindung wird damit eingestellt, sondern eine vor kurzem noch als besonders zukunftsträchtig eingeschätzte 467 Kilometer lange Linie zwischen zwei Hauptstädten.

Wer in Zukunft mit der Bahn von Berlin nach Kopenhagen reisen will, kann Schlaf- und Liegewagen vergessen und muß einen 200 Kilometer langen Umweg über Hamburg machen. Muß umsteigen und ist zwei Stunden länger unterwegs. Ein Lehrstück für die Methode, erst Passagiere zu vergraulen und dann mit dem Argument leerer Züge zweifelhafte verkehrspolitische Ziele durchzusetzen.

Denn nach der Einweihung der Öresund-Verbindung zwischen Dänemark und Schweden hätte diese Bahnstrecke mit der kurzen Fährverbindung von Rostock– Warnemünde nach Gedser die besten Voraussetzungen, die schnellste Zugverbindung von Osteuropa nach Skandinavien zu werden. Doch sie paßt der dänischen und deutschen Bahn nicht ins Konzept. Bis 1989 war sie auf eine zweitrangige Auslandsgüterstrecke der DDR herabgesunken. Und – gerüchteweise – zum unauffälligen Transitweg für Spione. Nach der Wende aber füllten sich die Liegewagen auch mit DänInnen, welche lange Kreuzberger Nächte erleben oder mit WestberlinerInnen, die ihrer Insel Richtung Christiania und Roskilde-Festival entfliehen wollten.

Gute Voraussetzungen also, die neue Kundschaft nicht nur zu halten, sondern zusätzliche zu gewinnen. Doch acht bis neun Stunden dauerte in diesem Jahr die 480 Kilometer lange Reise, kaum weniger als zu DDR-Zeiten.

Eine Stunde auf deutscher und 45 Minuten auf dänischer Seite dauert allein das Einfahren des Ostsee-Express in die Fähren – 1990 ging das noch doppelt so schnell.

Damals starteten die Kopenhagen-Züge auch noch vom zentralen Bahnhof Berlin-Zoo aus. Seit seit drei Jahren muß man zuerst mit der S-Bahn nach Berlin-Lichtenberg hinausfahren, um dort altersschwache Reichsbahn-Waggons zu besteigen. „Wir können nicht mit dem Flugzeug konkurrieren“, kalauert der Manager für Auslandsverbindungen der DSB, Henning Pedersen.

Die Zahl der Reisenden hat sich zwischen 1992 und 1994 fast halbiert. Nur noch rund 60 Unentwegte füllten im Durchsschnitt einen Zug. Zahlen, die nicht nur vom Personal der die dänischen Staatsbahnfähre „Knudshoved“ bezweifelt werden, sondern auch Gelegenheitsreisende erstaunen, die immer mal wieder keinen Liegeplatz ergattern konnten: ausverkauft. Und auch von Hamburg nach Kopenhagen liegt der Jahresschnitt pro Zug nicht wesentlich über 100 Passagieren.

Die dänischen Bahnen geben den deutschen die Schuld an der Misere, die deutschen den dänischen. Für die Wagen ist nach einem Abkommen der beiden Gesellschaften die DB zuständig. Tatsächlich dürfte es keine Verbindung in ein westeuropäisches Land geben, die den Fahrgästen ähnliche Hartpritschen zugemutet hat wie die nach Kopenhagen. Trotzdem sei die Einstellumng der Strecke „im wesentlichen eine dänische Entscheidung“, heißt es auf deutscher Seite, weil die Dänen ohnehin den gesamten Zugverkehr auf der 20 Kilometer langen Teilstrecke von Nyköping nach Gedser einstellen wollen.

Für die Reisenden hoffe man den Zeitverlust wegen des Umwegs über Hamburg ab Sommer kommenden Jahres auf eine halbe Stunde einschränken zu können. Und wegen einer besonderen Übergangsregelung würden die Fahrkarten auch nach der bisherigen, 200 Kilometer kürzeren Entfernung berechnet. Fragt sich nur, wie lange noch.

Die Wahrheit liegt woanders. Auf deutscher und dänischer Seite laufen in den Verkehrsministerien, bei Bahnen und Baukonzenrn die ersten Vorbereitungen für eine Brücken- oder Tunnelverbindung, die am Ende wieder nur den Autoverkehr erfreuen wird: über den Fehmarn-Belt, die jetzige „Vogelfluglinie“. Bei Strabag Bau und Bilfinger & Berger liegen die Baupläne in der Schublade, die Dresdner Bank hat das Finanzierungskonzept fertig. Bis 1997 soll die politische Entscheidung durchgedrückt sein. Bis dahin müssen die Zahlen stimmen, die jetzt noch viel eher für den Ausbau der Bahnstrecken sprechen würden.

Auf dänischer Seite regte sich in letzter Minute Widerstand. Als erstes stoppten Lokalbevölkerung und Parlamentsabgeordnete die DSB-Pläne, die Gleise nach Gedser unmittelbar nach Betriebsstillegung herauszureißen. Außerdem ist eine Initiative von UmweltpolitikerInnen mehrerer Parteien in Gang gekommen. Sie wollen die Regierung veranlassen, den Staatsbahnen eine Wiederaufnahme der Berlin-Verbindung für den nächstjährigen Fahrplanwechsel aufzuerlegen.