In Palermo beginnt am Dienstag der Prozeß gegen Giulio Andreotti. Italiens wichtigstem Politiker seit 1945 wird vorgeworfen, Komplize der Mafia gewesen zu sein. Hochrangige Wegbegleiter wie Ex-CIA- Chef Walters und Ex-Bundesaußenminister Genscher sollen ihn entlasten. Aus Rom Werner Raith

Und die Macht verschleißt doch

Daß das Ende seiner langen, langen Karriere plötzlich ganz schnell kommen könnte, hat Giulio Andreotti, damals 73, im Februar 1992 erkannt. An jenem grauen Wintertag jagten die Agenturen die Nachricht von der Ermordung seines sizialianischen Statthalters und engen Freundes Salvo Lima um die Welt.

Aschgrau und ohne Worte zu finden, so erinnern sich die Mitglieder seiner Regierung, habe der alte Mann dagestanden – noch buckeliger als ohnehin schon. „Wie einer, der gerade eben sein Todesurteil vernommen hat“, so ein Minister kurz danach. Salvo Lima, der den Medien schon als eine Art „Ehrengast in jeder Untersuchung über die Mafia“ (la Repubblica) galt, war ohne Schutz durch Palermo gefahren. Andreotti begriff sofort: Der Mord galt ihm. Und das sagt er auch bis heute.

Nur, wie immer, wenn Andreotti etwas sagt, klingt es so und ist doch anders gemeint. Denn daß Lima engstens mit der Mafia verbandelt, ja höchstwahrscheinlich sogar ein rituell dort aufgenommenes Mitglied war, ist für alle eine Tatsache – nur für Giulio Andreotti nicht. Für den war Freund Lima „stets ein Mann, der vielen Anfeindungen ausgesetzt war, dem man aber nie je etwas nachgewiesen hat“.

Daß Limas Ermordung tatsächlich Andreotti galt, sieht auch der stellvertretende Vorsitzende der Antimafiakommission, Pino Arlacchi, als bewiesen an. „Es war der offizielle Bruch mit Andreotti, weil dieser sich, obwohl Ministerpräsident, nicht mehr als fähig erwiesen hatte, in letzter Instanz Freisprüche für die vorher in den unteren Instanzen verurteilten Mafiabosse durchzusetzen.“

Bruderkuß mit Mafia-Boß Salvatore Riina

Tatsächlich hatte es erstmals in der Geschichte Italiens dutzendweise lebenslänglich für die Bosse gegeben. Der Druck der öffentlichen Meinung hatte unvermittelt willfährige Richter weggespült. Andreotti hält diese Urteile auch für den Auslöser des Mordes, heftet sie aber gleichzeitig auf seine Fahne: Lima sei umgebracht worden, weil er, Andreotti, in den Monaten zuvor Gesetze durchgepaukt habe, die den Mafiosi schwer zu schaffen machten, so etwa die sofortige Beschlagnahme aller Güter auch von Familienangehörigen Mafiaverdächtiger – was diesen tatsächlich ihre Machtbasis entrissen hat.

Dieses „Durchpauken“ haben Regierungsmitglieder von damals allerdings ganz anders in Erinnerung. „Man mußte Andreotti regelrecht zum Bellen bringen“, erinnert sich sein damaliger Justizminister Claudio Martelli. In Wahrheit sei er, Martelli, es gewesen, der das Gesetz durchgebracht habe. Vor Gericht allerdings wird auch dessen Aussage nur begrenzt Gewicht haben. Denn nicht nur hat auch Martelli ein Strafverfahren am Hals – wegen illegaler Parteienfinanzierung und Hehlerei. Ihm, 1987 Spitzenkandidat der Sozialisten auf Sizilien, wird darüber hinaus eine willige Annahme mafioser Stimmen nachgesagt. Bitter bekommt Andreotti nun, zumindest was seine Italiener angeht, zu spüren, was er selbst so oft schmunzelnd gesagt hatte: „Die Macht verschleißt nur den, der sie nicht hat ...“ Offenbar in böser Vorahnung hat er jedoch sein letztes Buch vor der Anklageerhebung in Umkehrung der Pointe „Die Macht verschleißt doch. Aber besser nicht von ihr lassen ...“ genannt.

Was seine ausländischen Freunde angeht, so stehen die recht feste zu ihm. Ex-UNO-Generalsekretär Perez De Cuellar wird ebenso zu seinen Gunsten aussagen (so jedenfalls die Verteidigung) wie Deutschlands Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Auch der frühere Chef der CIA, Vernon Walters, und die ehemaligen US-Botschafter Maxwell Rabb und Peter Secchia werden zur Entlastung kommen. Abgesagt hat lediglich der frühere US-Außenminister Henry Kissinger – ohne Kommentar, obwohl der ihn lange als den „wichtigsten europäischen Staatsmann der Nachkriegszeit“ gerühmt hatte. Doch wie sollen all diese ausländischen Potentaten gerade jene Behauptungen entkräften, auf die sich die Anklage der sizilianischen Staatsanwälte stützt? „Dies ist ein rein strafrechtlicher Prozeß, kein politischer“, sagt der frühere Vorsitzende der Antimafiakommission, Luciano Violante: „Es geht um kriminelle Delikte.“ Die Staatsanwälte versuchen zu beweisen, daß sich Andreotti konspirativ mit Top-Mafiosi und deren Ansprechpartnern getroffen hat. Bei diesen Anlässen wurde seine Polizeieskorte, die ihm sonst nicht von der Seite wich, immer weggeschickt. Und als dies Jahre später herauskam, wurde nichts unversucht gelassen, die Polizisten zu Falschaussagen zu bewegen.

Dann ist eben alles nur eine Intrige, ein Racheakt

Getroffen haben soll sich Andreotti, während er Regierungsämter innehatte, etwa mit dem obersten Chef aller Clans der beginnenden achtziger Jahre, Stefano Bontade. Mit ihm hatte Andreotti, so berichten Zeugen, einen heftigen Wortwechsel, mußte sich sagen lassen, auf Sizilien regiere die Mafia, nicht er. Später dann mit dem schon damals seit mehr als zehn Jahren steckbrieflich gesuchten Nachfolger (und Mörder) Bontades, Salvatore Riina, der erst 1993 gefaßt werden konnte. Mit dem soll er, nach Zeugenaussagen, gar einen Bruderkuß getauscht haben.

Und dann die Indizien zur „Bereinigung“ von Prozessen: Über einen Vorsitzenden der Strafrechtssektion des Kassationsgerichts (vergleichbar dem deutschen Bundesgerichtshof) namens Corrado Carnevale soll er jahrelang für Freisprüche jener Bosse gesorgt haben, die ihm Lima im Auftrag der sizilianischen Clans genannt hatte. Richter Carnevale wurde jedoch just diese Woche in einem Fall (Begünstigung) freigesprochen – ein Punkt für Andreotti, auch wenn noch weitere Verfahren gegen Carnevale laufen.

Daß Andreotti untergetauchte Bosse getroffen hat, ist sicherlich eine böse Sache für ein Regierungsmitglied. Beweist es aber schon die Beteiligung an der Bildung mafioser Banden? Und lassen sich die „Hinweise“ an den Oberrichter hieb- und stichfest belegen? Es wird schwer werden, auch wenn die Sachlage gegen Andreotti spricht.

Andreotti selbst geht in seiner Verteidigungsstrategie von mangelnder Beweiskraft und heftiger Widersprüchlichkeit der „Kronzeugen“ aus und setzt sich daher nur wenig mit den Vorwürfen heimlicher Treffen und Kungeleien auseinander. Er sucht statt dessen zu beweisen, daß der ganze Prozeß anderen Zielen dient. „Höchstwahrscheinlich“, so Andreotti, sei es 1992/93 vor allem eine politische Intrige gewesen, um ihn aus dem Rennen um die Präsidentschaft Italiens zu werfen – „und das ist ja auch gelungen“.

Sollten die Richter dieser Version keinen Glauben schenken, so hat er gleich noch eine andere parat. Dann sei das alles eben ein Racheakt, gesteuert aus den USA, weil er mit seinen Gesetzen den dortigen Mafiosi und einigen anderen Dunkelmännern zu heftig auf die Zehen getreten ist.