Kutteldaddeljazz

■ „Jazz und mehr“, eine neue Reihe im „Schlachthof“, versammelte Otto Sander, Ringelnatz und die Saxophon Mafia

Der erste Eindruck schien Konzept und Anspruch der jüngsten Schlachthof-Reihe – dem Jazz ein neues Publikum gewinnen – zu bestätigen: Die Kesselhalle war am Samstag ausverkauft. Im Publikum viele Gäste, die sich ansonsten, wenn überhaupt, selten in Jazzkonzerten sehen lassen.

Den ersten Teil des Abends bestritten Otto Sander und Gebhard Ullmann mit einem Ringelnatz-Programm. Wer so etwas wie Jazz & Lyrik erwartet hatte, sah sich getäuscht. Sander rezitierte eine Auswahl von Gedichten des exzentrischen Wortspielers mit dem leicht obsessiven Verhältnis zur Erotik und dem Faible für ungerade Versmaße. Die rauchige, ein wenig versoffen klingende Stimme Sanders paßte ausnehmend gut zu den zwischen subtilem Sprachwitz, Blödelei und sarkastischer Derbheit schwankenden Reimen des ehemaligen Halbschwer-Matrosen, der mit seinem Kuttel Daddeldu dem idealen Gesamtseemann ein unvergängliches Andenken schuf.

Sander sorgte mit dem bravourös vorgetragenen Querschnitt aus Kuttel Daddeldus Weihnachstabenteuer, der gereimten Verhohnepiepelung deutschnationaler Turner-Mentalitäten, dem autoritätszersetzenden Kinderverwirrbuch und anderen Perlen aus Ringelnatz' Feder für ausgelassene Stimmung in der Kesselhalle. Saxophonist Ullmann lieferte zu den Gedichten keinen musikalischen Soundtrack, sondern beschränkte sich auf kurze Intermezzi. In seinen Improvisationen (u.a. Bassklarinette und Sopransaxophon) gelang ihm eine klangliche Widerspiegelung der Lyrik Ringelnatz' mit ihren Zeilensprüngen und dem Wechsel von geraden und ungeraden Metren. Allerdings war sein Beitrag unangemessen kurz.

In und nach der Pause stellte sich dann heraus, daß ein Gutteil der BesucherInnen offenbar vor allem wegen Otto Sander gekommen war. Die Reihen waren merklich gelichtet als die Kölner Saxophon Mafia auf die Bühne kam und sie lichteten sich weiter, als die Kölner Bläser loslegten. Die Freude an krummen Metren und hintersinnigem Schalk scheint bei vielen auf Literarisches begrenzt. Dabei macht die Mafia mit ihrem neuen Programm „Go Commercial“ musikalisch Ähnliches wie Ringelnatz mit Worten und Sprache. Da gibt es überraschende Wendungen, komplexe Strukturen, die sich erst nach und nach entfalten, Bekanntes wird gegen den Strich gebürstet. Das aktuelle Programm verarbeitet Stilelemente aus Rock,Pop, Hip Hop, Reggae und Filmmusik zu Neuschöpfungen, die gleichzeitig bekannt und fremd klingen. Dem verbliebenen Rest der BesucherInnen gefiel das furiose Geblase auch nicht weniger als Ringelnatz'Gereime. Der hatte in den 20er Jahren geschrieben:

Die Zeit vergeht. Die Milch verdirbt.

Das Gras verwelkt. Die Wahrheit schweigt.

Die Milch entsteht. Die Kuhmagd stirbt.

Die Kuhmagd melkt. Ein Geiger geigt.

Arnaud