Bremerhavener SPD im freien Fall

■ SozialdemokratInnen verlieren10 Prozent / CDU stärkste Fraktion / DVU drin / FDP draußen

Ein Desaster für die SPD: Gestern haben die BremerhavenerInnen die Stadtverordnetenversammlung neu gewählt, und die SozialdemokratInnen befinden sich weiter im freien Fall. Knapp zehn Prozent der Stimmen sind weg, die CDU wurde stärkste Fraktion, die Grünen konnten ihr gutes Ergebnis aus der Bürgerschaftswahl genauso wiederholen wie die AfB, die erstmals ins Bremerhavener Stadtparlament einzog, und die DVU hat wieder den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. Ganz im Gegensatz zur FDP. Die stellt mit Manfred Richter zwar den Oberbürgermeister, nur keine Abgeordneten mehr. (Die genauen Ergebnisse s. Kasten). Die Wahlbeteiligung war mit 49,89 Prozent die schlechteste seit Gründung der Bundesrepublik. Nun geht in Bremerhaven an der Großen Koalition offenbar kein Weg vorbei.

Käsigen Gesichts trat Häfensenator Uwe Beckmeyer schon eine knappe Stunde nach Schließung der Wahllokale vor die Mikrophone. Was sollte er auch sagen? „Wir müssen einsehen, daß wir klar die Verlierer der Wahl sind“, mußte der Bremerhavener SPD-Vorsitzende zugeben. Und die Gründe wußte er auch schon: der „Verdruß über die sozialdemokratische Politik in Bremerhaven“, aber aucgh „Bezüge bundespolitischer Natur“. Die Bremerhavener SPD, ein Opfer des Kampfes zwischen Schröder und Scharping. Niocht minder zerknirscht gab sich deer SPD-Spitzenkandidat Melf Grantz: kein Drumrumreden, alles verloren. Zur Koalitionsfrage nochte sich Grantz lieber nicht äußern. „Wir sind nicht die Partei, die jetzt Bündnispartner sucht. Wir warten, daß sich die stärkste Partei rührt.“

Eitel Sonnenschein herrschte dagegen bei den christdemokratischen WahlgewinnerInnen. Paul Bödecker, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender in der Stadtverordnetenversammlung, konnte sein Glück kaum fassen – und das Unglück der Konkurrenz: „Das hätte sich in dieser Stadt niemand träumen lassen. Die SPD unter 30 Prozent. Ein phantastisches Wahlergebnis für uns.“ Damit sei der „jahrzehntealte Filz beendet“, meinte er. Und eine Erklärung für das gute Abschneiden der CDU hatte er auch parat: „die geradlinige Fraktionsarbeit in den letzten Jahren“, ganz im Gegensatz zum zerstrittenen politischen Rest.

Die Grünen wurden drittstärkste Fraktion, doch so rechte Freude mochte nicht aufkommen. Die Grünen grauste es vor der Regierungsperspektive: „Es beschämend, daß die DVU es wieder geschafft hat. Und wenn ich mit dann vorstelle, daß CDU, AfB und DVU als Zünglein an der Waage die Stadtpolitik bestimmen, das ist für mich der reinste Horror“, meinte Hans-Richard Wenzel, der zweite grüne Spitzenkandidat. „Die Grünen haben zwar gute zwei Prozent zugelegt, trotzdem ist für mich das Wahlergebnis alles andere als erfreulich. Mich bedrückt es, daß noch nicht einmal 50 Prozent der Bürger zu so einer wichtigen Kommunalwahl gehen.“

Am Nachmittag hatte sich der Erdrutsch in der Wahlbeteiligung schon angekündigt. Das Wahlvolk mochte nicht mehr. Zuversichtlich hatten die SpitzenkandidatInnen der Bremerhavener SPD von den Plakaten gelächelt. Doch unter schwarzem Filzstift hatte es sich ausgegrinst: „Alles scheißegal“, hatte jemand quer über das Plakat geschmiert. Auch dem Spitzenkandidaten der CDU ging es nicht besser: Auf einem Wahlplakat wurde sein Gesicht durch einen Klumpen Straßendreck entstellt, der mitten auf der Nase des Kandidaten zerplatzt war.

Was sich im Vorfeld der Wahl schon auf den Wahlplakaten niederschlug, hat sich gestern bei der Wahl bestätigt. Bis 17.20 Uhr hatten nur 43,9 Prozent der rund 95.000 Wahlberechtigten ihre Stimme für die Stadtverordnetenversammlung abgegeben. Zum Vergleich: 1991 waren es um diese Zeit 49,58 Prozent gewesen. „Erschreckend“, sagte die stellvertretende Stadtwahl-Leiterin Renate Hunter, als sie gestern nachmittag die ersten Zahlen zur Wahlbeteiligung bekanntgab.

„Ich gehe nicht zur Wahl, weil meine Stimme sowieso nicht zählt“, sagte derweil draußen ein junger Taxifahrer, „alles, was ich darf, ist Steuern zu zahlen. Wenn ich wählen würde, dann DVU, aber die ist zu verrufen“.

„Die Leute sind verunsichert“, vermutete Wahlleiter Rainer Hamann. Seit acht Uhr morgens saß er mit zwei KollegInnen in den gelb getünchten Kellerräumen der AWO in Leherheide. „Hier herrscht absolut tote Hose“, rutscht es einem Wahlhelfer raus. „Die Wortwahl wollen wir mal nicht nehmen“, korrigierte Hamann sofort. „Schreiben Sie lieber, wir haben eine sehr schwache Wahlbeteiligung. Ich glaube, die Leute sind verunsichert durch die internen Unruhen in den Parteien. Die Diätenfrage hat jetzt noch den letzten Stoß gegeben“.

„Vor allem die SPD kann besonders gut mauscheln“, schimpfte ein Frührentner aus Leherheide, „fahren auf Kaffeefahrt nach Genua, die spinnen wohl“, ereiferte er sich. „Wer kein SPD-Parteibuch hatte, wurde doch hier in Bremerhaven nichts“. Der ehemalige Seemann hat CDU gewählt, obwohl er auch denen nicht über den Weg traut. „Aber was bleibt mir übrig, die SPD hat hier schließlich über 30 Jahre lang genug rumgepfuscht.“

„Ich darf leider nicht wählen, ich bin ein Fremder“, klagte dagegen ein türkischer Bremerhavener, der seit 20 Jahren in der Stadt lebt. „Ich hoffe nur eins: daß die DVU nicht reinkommt.“ Hat er umsonst gehofft. kes/J.G.