SPD verschläft PVC-freie Zukunft

■ Fraktion stimmte in „geistiger Umnachtung“ Eilantrag der FDP zur Aufhebung des Verbots von PVC und Aluminium zu

Die PVC- und Alubranche kann jubeln: Donnerstag nacht hat sich das Abgeordnetenhaus von den ökologischen Baurichtlinien, die die Verwendung von PVC und Aluminium bei öffentlichen Bauten verbieten, verabschiedet. Damit droht Berlin seine Vorreiterrolle in Sachen ökologisches Bauen zu verlieren. Mit einer Mehrheit aus FDP und CDU und gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS wurden die unter Rot-Grün beschlossenen „ökologischen Baurichtlinien“ aufgehoben.

Schuld an diesem fatalen Beschluß ist die Schlafmützigkeit der SPD-Fraktion. Ihre Mitglieder hatten am Mittwoch abend im Bauausschuß den FDP-Eilantrag zur Aufhebung des Verbots mit nur zwei Stimmenthaltungen und zwei Gegenstimmen regelrecht verschlafen. Der FDP-Antrag sieht vor, das Verwendungsverbot für PVC an Fassaden aufzuheben, wenn es ein Recycling-System für diese Stoffe geben sollte. Einen Tag später im Parlament, ebenfalls zu später Stunde, hat mehr als die Hälfte der 76 Personen starken Fraktion bei der Abstimmung über den Antrag „überhaupt nicht eingegriffen“, kritisiert der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Köppl. Nur „eine Handvoll Ökologen“ habe dagegen gestimmt. Der Rest habe sich enthalten.

„Die haben nicht mehr durchgeblickt“, kommentiert Köppl das Versagen der SPD-Fraktion. Anders kann er sich die „geistige Umnachtung“ nicht erklären. Denn zu Beginn der Legislaturperiode hatte sich die SPD mit der CDU darauf verständigt, „an den Prinzipien des ökologischen Bauens“ festzuhalten.

Selbst dem umweltpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Holger Rogall, ist das Verhalten seiner Kollegen „völlig unverständlich“. Es sei beschlossene Sache gewesen, „alle Anträge in dieser Richtung“ abzulehnen. Noch im Dezember letzten Jahres war ein SPD-Antrag angenommen worden, ab Januar 1997 keine PVC- Elektrokabel mehr zuzulassen. Auch wenn Rogall entschieden gegen eine „Verwässerung oder Aufhebung“ der Richtlinien ist, will er „nicht den Stab brechen“ über Abgeordnete, die nicht „pro Umwelt“ stimmten. Denn Abgeordnete seien „frei in ihren Entscheidungen“.

Für Köppl ist der Beschluß ein „schwerer Fehler“. Denn die ökologischen Richtlinien hätten sich in Berlin „sehr bewährt“. Immerhin machten öffentliche und öffentlich geförderte Bauten neunzig Prozent der Bauvorhaben in der Stadt aus. Seine Fraktion verlangt von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD), der den Beschluß als „Verstoß gegen die Koalitionsvereinbarung“ bezeichnete, das Verwendungsverbot von PVC und Alu bis zu einem neuen Parlamentsbeschluß aufrechtzuerhalten. Dabei will SPD-Umweltsprecher Rogall dem Bausenator „den Rücken stärken“. Bündnis 90/Die Grünen kündigten an, nach den Wahlen einen neuen Antrag auf Bestätigung des Verbotes einzubringen. „Innerhalb von drei Wochen kann er als Parlamentsbeschluß vorliegen“, so Köppl.

Carsten Körnig, Leiter des Berliner Greenpeace-Büros, nennt den FDP-Antrag ein „rein taktisches Manöver der Arbeitsgemeinschaft für PVC und Umwelt“, der Interessengemeinschaft der PVC-Hersteller. Es sei ein „schamloser Mißbrauch“ des Bauausschusses und damit ein „politischer Skandal“, daß die Ergebnisse einer PVC-Studie des Bausenators nicht abgewartet wurden. In spätestens zwei Wochen hätten die Ergebnisse zur angezweifelten Wiederverwertbarkeit von PVC vorgelegen, so Körnig. PVC sei wegen der hohen Dioxinfreisetzung bei der Produktion und bei Bränden ein „untragbares Produkt“. Bausenator Nagel hatte noch im Dezember letzten Jahres gewarnt: „Wer als Politiker diese Gefahren ignoriert, vergeht sich an der Zukunft.“

Als „Betrügerei“ bezeichnet Köppl die Recycling-Angebote der PVC-Industrie, die gegen die ökologischen Baurichtlinien von 1990 Sturm gelaufen war. Denn PVC-Altmaterial habe einen hohen Bleianteil und nicht jedes PVC-Material sei wiederverwertbar. Ob bleiarmes PVC wiederverwertbar sei, müsse erst geprüft werden. Barbara Bollwahn