Pilzausstellung

Präsentation unter Naturbedingungen  ■ Von Gabriele Goettle

Über Ruppertsgrün ziehen bauschige weiße Wolken dahin und werfen langsam wandernde Schatten aufs Land. So auch auf zwei Dutzend Steinpilze und einen ambitionierten Rentner. Geduldig schaut er durch den Sucher seiner Praktika wartet auf besseres Licht. Und dann, ganz plötzlich, leuchten alle Farben auf unter der nachmittäglichen Sonne. Sie bringt eine neue Ordnung in die Dinge, hebt die gewölbten Schäfte und Hüte der Steinpilze hervor, ihre voluminösen Gestalten und bräunlichgelben Schattierungen. Der Rentner fotografiert sein Motiv von allen Seiten, hält den letzten Tag dieser Pilzexistenzen akribisch fest.

Es schlägt drei von einer Turmuhr. Familien mit Kindern beleben die sonntägliche Ruhe. Sie schlendern durchs Tor auf eine weiße Gründerzeitvilla zu. Sachlich, wie Eigentümer, ohne bewundernden Blick auf die Freitreppe, das schmiedeeiserne Geländer an den Balustraden. Als Bürger der ehemaligen DDR ist ihnen ein respektloser Umgang mit den Zeugen hochherrschaftlicher Wohnkultur in Fleisch und Blut übergegangen. Anderswo muß diese Haltung angesichts der wiederhergestellten alten Eigentumsverhältnisse zähneknirschend korrigiert werden. Hier in Ruppertsgrün darf sich derzeit noch ein Kindergarten an Villa, Schwimmbecken und Parkanlage erfreuen. Fürs Wochenende hat man das Gelände der regionalen Pilzberatungsstelle überlassen.

Die Pilzberater sitzen an langen Tischen, verkaufen Bücher und Broschüren, sortieren die von Besuchern mitgebrachten Pilze nach eßbaren und ungenießbaren, erläutern die Feinheiten der Unterschiede, schneiden Schäfte auf, brechen Hüte auseinander und weisen auf Verfärbung, Beschaffenheit, Lamellen. Ein alter Mann verkauft Eintrittskarten von der Rolle, zu zwei Mark das Stück. An den Tischen haben sich kleine Grüppchen zusammengefunden, in denen fachsimpelnd diskutiert wird. Der Gegenstand, um den es hier geht, scheint eine reine Männerdomäne zu sein. Den Frauen ist allenfalls eine Nebenrolle erlaubt.

Unter den alten Bäumen des Parkes ist mit weißer Schnur ein Rundweg abgesteckt. Zu beiden Seiten, im Abstand von zwei bis drei Metern, hat man kleine Pilzgruppen im Gras aufgebaut und zwar derart, daß von jeder Sorte Vertreter aller Altersgruppen betrachtet werden können. Die stabileren Exemplare stehen, haben ein Polster aus Moos oder Tannennadeln, die zarteren Pilze liegen, dem Betrachter entweder mit den Köpfen oder den Unterseiten zugewandt. Handgeschriebene, plastiküberzogene Pappschilder geben Auskunft über den deutschen, den lateinischen und die gebräuchlichsten Spitznamen, darüber, ob die Pilze genießbar, ungenießbar oder giftig sind. Den stark bis tödlich giftigen Pilzen hat man am Ende des Rundweges zwei Holztische gewidmet, hier kann jeder Interessierte sie noch einmal von nahem sehen und zugleich neben jenen Arten, mit denen sie, mehr oder weniger leicht, verwechselt werden können. Von den etwa 2.000 höheren, bei uns heimischen Pilzarten, seien nur an die 30 als giftig zu bezeichnen, erklärt der Hüter des Standes, und tödlich giftige Pilze gebe es überhaupt nur vier, zumindest bestehe nach ihrem Verzehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß sie den Tod des Essenden nach sich ziehen. Zwei davon allerdings gebe es nur zwischen April und Juli; die sogenannte Frühjahrslorchel und den ziegelroten Rißpilz. Die anderen liegen auf dem Tisch, der grüne und weiße Knollenblätterpilz und der harmlos aussehende Pantherpilz, Spitzname Sachsentöter, mit braunem Hut und weißen Tupfen. „Wenn Sie den verwechseln mit dem Perlpilz hier, dann isses meistens schon passiert!“

„Er meint natürlich, daß Sie den Pantherpilz nicht mit dem Perlpilz verwechseln dürfen“, fügt ein zwanglos auftretender, lehrerhaft wirkender Mittfünfziger hinzu. Während der Gerügte etwas verlegen seine Giftpilze ordnet, erklärt der andere: „Wir müssen es immer sehr genau nehmen mit der Pilzaufklärung. In unserer Funktion als ehrenamtliche Pilzberater sind wir rechenschaftspflichtig, wenn was passiert. Früher in der DDR waren wir dem Hygieneinstitut unterstellt gewesen, augenblicklich allerdings sind wir ... da streitet man sich noch, ob das Gesundheitsamt oder der Amtsarzt zuständig ist. Im Grunde will uns keiner so recht haben, man denkt wohl auch, daß der Pilz jetzt in den Hintergrund gedrängt wird von der Konsumleidenschaft; und Sie können ja heute alles im Einkaufszentrum ... Na ja, das legt sich. Wir jedenfalls arbeiten weiter. Es sind nach wie vor die alten Kollegen, die hier zusammenharmonieren. Wir machen unsere Tagungen zum Jahresausklang und sehen uns bei all den anderen Treffen, schon jahrzehntelang. Die Ausstellung haben wir, hier aus dem Landkreis, vorbereitet. Zwei Tage lang sind wir in alle Richtungen ausgeschwärmt und haben all das, frisch und in schönen Grüppchen, unversehrt hierhergebracht. Manche fuhren ins Vogtland. Andere rauf nach Jena, denn das ist ein ganz interessantes Gebiet, von dort bekommen wir beispielsweise auch den grünen Knollenblätterpilz her, der ja einer der giftigsten ist. Manchmal haben wir ihn auch hier bei uns im Hartensteiner Forst stehen, aber eben sehr selten. Übrigens haben wir mit dem Suchen der Giftpilze immer die meiste Mühe gehabt. Allerdings, diesmal ist sogar der Pantherpilz hier gewachsen, zu unserer größten Überraschung – und deshalb machen wir ja auch ganz besonders aufmerksam auf die Verwechslungsgefahr. Da gibt es also zum einen die Ähnlichkeit mit dem Perlpilz und zum anderen mit dem grauen Wulstling. Aber irgendwie bleibt das für mich ein Rätsel, denn ich habe noch nie früher in meinem Heimatwald hier Pantherpilze gefunden und heute früh habe ich eben doch zwei gefunden.“

Ich setze meinen Rundgang fort bis zu den Fliegenpilzen. Sie stehen als eine Art Großfamilie zusammen und kommen doch aus drei, vier verschiedenen Wäldern. Vom kleinsten roten Knopf bis zum braunen Matsch sind alle Altersgruppen vertreten. Ein älterer Mann in buntem Hemd und Shorts erkennt in mir intuitiv eine Pilzunkundige und sagt: „Die können Sie essen! Aber nur, solange sie jung sind. Sie ziehen die Haut ab und dann normal zubereiten. Das mit den Giftpilzen wird immer gern übertrieben. Ich sag Ihnen mal einen alten Pilzsammlerspruch: ,Im Prinzip kann man jeden Pilz essen, zumindest einmal.‘ Es war so '67, glaub ich, mein Schwager und ich bei Dresden in einem Waldstück unterwegs. Da haben wir einen Spankorb voller Kremplinge eingesammelt, heimgeschleppt, geschnitten und in eine große Pfanne getan, 40 Zentimeter breit, zehn Zentimeter hoch. Die Soße von den Pilzen war ganz schwarz. Die wurde weggeschüttet und der Pfanneninhalt gegessen. Da blieb nichts übrig, die haben wir zu zweit verdrückt. Damals hat noch kein Hund danach gekräht, ob der Krempling eßbar ist oder giftig. Den hat man gegessen. Schlußpunkt! Heute isser giftig. Es kann Kreislauferkrankungen geben, auch der Sehnerv soll geschädigt werden. Aber ich sehe wie ein junger Luchs! Eine Brille brauche ich bis heute nicht, der Kreislauf ist auch bestens. Es ist so: Wenn der Pilz jung ist und noch richtig eingerollt, dann sieht der zum Fressen niedlich aus! Den eß ich heute noch, auch wenn's an sich verboten ist. Kommen Sie mal mit! Der dort, der runde braungelbe, das ist der Bovist. Finger weg, giftig, sagen die! Aber den können Sie bedenkenlos essen. Solange er jung ist! Da hat er weißes Fleisch, später wird er schwarzblau, dann ist er giftig und ungenießbar. Man muß sich halt nur auskennen und, vor allem, Glück haben. Wenn Sie noch einen Moment Zeit hätten ... ja? Also 1952 bin ich nach der Nachtschicht mal prüfen gegangen, ob's Pilze gibt. Nur so gucken wollte ich, ganz auf die Schnelle. Und da habe ich, einmal in meinem Leben, fast 'nen Zentner Steinpilze gefunden, auf einen Schlag. Und nichts dabei zum Reintun! Mein Hemd und mein Unterhemd hab ich ausgezogen, unten zugeknotet, vollgestopft und nach Hause geschleppt. Die Pilze, sage ich Ihnen, die standen so dicht wie früher die Massen zum 1. Mai. Am Nachmittag bin ich mit Körben wieder raus, ich mußte ja sehen, daß kein anderer ... aber ich war allein auf weiter Flur und habe nochmal 60 Pfund gefunden, dazu auch noch Rotkappen, Maronen, Birkenpilze. Und das alles an einem einzigen Tag in meinem Leben. Damals war Vollmond, und es hatte geregnet, dazu kam mein Glück. Ein Zentner Steinpilze, und kein Mensch hat mich gesehen! Ich erzähl das normalerweise nicht, jeder denkt doch, ich lüge! Aber Sie glauben mir doch? Es ist die reine Wahrheit. Da hat dann die ganze Familie zusammen gesessen und die Pilze verarbeitet. Jeden Tag gab's Steinpilze, als Gulasch, als Knödel, als Schnitzel, als Suppe. Meine Mutter hat eingelegt, süß und sauer, eingeweckt, getrocknet, pulverisiert, alles. Wir konnten das gut gebrauchen, wir waren zehn Mann zu Hause, noch eine Stiefschwester von mir, Oma, Opa, wir alle haben wenig davon gegessen. Und nicht ein Pilz war madig oder schlecht. Ich war später immer wieder an der Stelle, aber nie mehr war was. Allerdings, 1967 hab ich ein paar hundert Meter weiter nochmal zwei große Körbe voll gefunden, da mußte ich auch nicht lange suchen. Ich bin ja jedes Jahr draußen, schon immer, schon seit ich ein Bub war, und ich muß sagen – grade neulich hab ich mal darüber nachgedacht –, die Vegetation hat sich über die Jahre sehr geändert. Von allem gibt es immer weniger, Insekten, Wildkräuter, Beeren und auch Pilze. Was wir Insekten gesehen haben als Kinder! Raupen in allen Farben, Schmetterlinge, Käfer, Waldameisen, da war alles voll. Mit Kräutern, Beeren und Pilzen konnten Sie sich sozusagen aus dem Wald ernähren. Und dann wurde das immer weniger, immer eintöniger, heute kann man lange suchen. Ich sag immer: Ein Pilz, drei Leute! Nach sechs in der Früh braucht man gar nicht mehr rausgehen. Aber trotzdem, dieses Jucken am ganzen Körper, wenn man sich auf die Suche macht, das hört nicht auf, auch im Alter nicht. Hinkommen, einsammeln, nach Hause schleppen, das ist es! Das ist eine Veranlagung, die Freude am Pilz!“

Der Pilzsucher geht nach kurzem Gruß. Immer noch unterwegs in den Wäldern seiner Kindheit und Jugend, wäre er fast über eine der Absperrungen gestolpert. Fast am Ende meines Rundganges treffe ich bei den Speisepilzen auf zwei Männer in angeregter Unterhaltung. Das heißt, eigentlich spricht hauptsächlich der eine und zwar mit lauter Stimme. Er wirkt wie ein sozialistisch-realistisch dargestellter Arbeiter, massig, kantig, mit groben Handgelenken. Der

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andere verkörpert das ganze Gegenbild, er ist klein, etwas gebeugt und Brillenträger.

A: Der Maroner dieses Jahr, hervorragend. Ich sag meinen beiden Kleinen immer: „Wenn ihr ihn drückt, und er wird blau an der Kappe, das ist der Maroner, darauf könnt ihr wetten!“

B: Verwechslungsmöglichkeit gibt es allerdings mit dem bitteren Gallenröhrling, der hat aber einen genetzten Stiel ...

A: Außerdem riecht er nicht nach Obst. Weiße Schafs-Porlinge habe ich auch mitgenommen, da hab ich nun die Wahl, entweder zweieinhalb Stunden kochen oder trocknen. Nur, sobald mir 'ne Fliege reinkommt, ist der Teufel los, da kann ich mich dann vor Nachkommen nicht mehr retten, alles schon dagewesen! Ich kenne mich ja zum Glück aus, aber wenn man nicht sicher ist, sollte man die Sache lieber stehn lassen. Trotzdem, ich hab mal an der polnischen Grenze welche getroffen aus Altenburg, die hatten Pilze bei, ganz schwarze. Kenne ich nicht. Die kannten sie. Nannten sich Neger. Kennen Sie die?

B: Da müßte ich schon genauere Angaben ...

A: Ist ja auch egal, jedenfalls, die waren wunderbar, ein ganz hervorragender Speisepilz und sowas von selten. Es gab damals dort fürs Pfund fünf Mark. Die seltenen Pilze sind immer die begehrtesten, stimmt's? Ich selbst hab an einer bestimmten Stelle im Zwickauer Wald vor acht Jahen mal einen Mai-Pilz gefunden.

B: Ach!

A: Der ist auch sehr gut und selten.

B: Mancher hat eben Glück. Aber wir hatten auch unsere guten Nasen, körbeweise haben wir hier alles herbeigeschafft.

A: Das wollte ich doch noch sagen, die Ausstellung ist sehr gut! Reichhaltig ist sie auch, und es steht alles da wie gewohnt.

B: Danke, ich werd's weitergeben. Mir ist aufgefallen, daß in diesem Jahr die Steinpilze explosionsartig zugenommen haben und das in einer reinen Maroner- und Rothäuptelgegend.

A: Hab ich bemerkt. Sowas an Steinpilzen war seit Jahrzehnten nicht mehr da! Im Radio wird gewarnt, sie sollen angeblich immer noch strahlen, die Pilze, nach so langer Zeit ...

A: Ach, na ja, der Maroner vielleicht, der nimmt ja am meisten auf in seiner Haut, aber bei uns in der Region ist es nicht so schlimm. Die Windströme gingen ja damals, nach der Havarie in Tschernobyl, mehr übers Vogtland, und das meiste bekamen die Bayern ab, hauptsächlich die Bayern.

Wir haben unlängst messen lassen, denn wir haben ja hier unsere eigenen Quellen ... unseren Schlammteich in Oberrothenbach beispielsweise, der ganze Wismut- Schlamm ... mehr muß ich gar nicht sagen. Also wir haben trotzdem ganz wenig Strahlung. In einem Kilo Frischpilz dürfen wir theoretisch 600 Becquerel haben, das ist der Grenzwert.

A: Na, und was ham wa?

B: Also im nebelgrauen Trichterling fanden sich zum Beispiel 19, im Blutreizker waren es 26, in der Totentrompete glaube ich 20 und im Maroner waren 31 Becquerel, die gemessen wurden. War ja alles vollkommen unwesentlich gewesen.

A: Das ist dieses neumoderne Gerede heute. Ich hab 38 Jahre dort gearbeitet, bei der Wismut, nur immer Erz gefahren, aber ich leuchte nicht! Oder etwa doch?

B: Das ist doch Unsinn!

A: Sehnse. Ich hab noch nichts gemerkt. Wir ham auch den Schlammteich zugekippt, am andern hab ich auch anfangs mitgemacht, der is noch mal so groß. Da kam alles rein, da ist Bauschutt drinnen, und Massen von Schlamm, aus der Uranaufbereitung. Das meiste Wasser ist heute verdunstet, das wird ja nu saniert. Egal. Von der Böschung, von da, wo der Staub von den Lkw immer aufgeflogen ist, dort ham wir unsere Pilze weggeholt. Das waren überhaupt die besten, solche Dinger! Direkt am Zaun, da wo die graue Erde ist, da waren immer die meisten.

B: Direkt von der Basis?

A: Man kann die von dort nehmen. Alle haben sie genommen!

B: Nun, vom Meßergebnis her würde ich da lieber ...

A: Ach was! Auf die Halden mit den Tragekörben sind die Leute ruff. Solche Mengen Pilze haben die geholt. Und das wissen Sie doch auch, damals, als der Zaun noch nicht war, ham sich die Leute sogar den Schlamm geholt für ihre Erdbeerbeete. Und warum auch nicht; die hatten ja alle Riesenerdbeeren in ihrem Garten stehen. Man hat die dann verboten, die Mammutfrüchte.

Heute dürfen die Leute gar nichts mehr aus dem Garten essen. Alles Wichtigtuerei. Da ist keiner dran gestorben. Wir haben von den Halden sogar Morcheln geholt und Trüffel. Wenn man dort etwas gegraben hat und Glück hatte, dann war man im Handumdrehen um einige Mark reicher. Die Pilze wurden an die Interhotels um teures Geld verkauft. Die ham sie dann verfüttert, an die Devisengäste. Und wenn denen das bekommen ist, dann bekommt es uns auch!

B: Diese Pilze hätte ich nicht empfohlen ...

A: Die hatten 'ne gute Düngung. Schöne Exemplare waren das ... und schöne Exemplare stehn übrigens auch da vorne, wer von euch hat die denn gebracht?

B: Das weiß ich jetzt gar nicht auf Anhieb, was ist denn mit denen?

A: Die sind aus dem Engelsgrund! Erkenn ich doch auf einen Blick. So schön werden sie nur gleich neben dem Schlammteich am Kuhberg, weil da überall das Wasser versickert ist ...