Weiter forschen, Zeit verschwenden

■ Die vom Autoverkehr verursachten Gesundheitsschäden sind längst bekannt, doch Bundesverkehrsminister Wissmann verhindert politische Konsequenzen

Anderthalb Tonnen Metall und Kunststoffe. 100 Liter hochexplosiver Flüssigkeit. In zehn Sekunden auf 100 Stundenkilometer beschleunigt. Kontrolliert allein durch das anfällige Biosystem Mensch. Das ist das Auto. Kein Wunder, daß die BundesbürgerInnen in ihrem Leben durchschnittlich neun versicherungsrelevante Verkehrsunfälle erleben. Jede zweite Person wird im Laufe ihres Lebens auf der Straße verletzt, jede sechzigste stirbt an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Hinzu kommen der Lärm, die Zerstörung der Städte, die Verseuchung von Luft, Boden und Wasser.

Alles bekannt? „Dennoch“, so klagt Angela Boldt vom Gesundheitsamt der Stadt Kiel, „werden weiterhin Studien über Studien erstellt, die sich wissenschaftlich fragen, ob das Auto krank macht. Die Wissenschaft sollte statt dessen dazu dienen, die Gesundheitsgefährdungen durch das Auto realistisch zu beschreiben.“

Morgen ist es wieder soweit. Im schleswig-holsteinischen Neumünster treffen sich MedizinerInnen und WissenschaftlerInnen zur Fachtagung „Kfz-Verkehr und seine Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit“. Angela Boldt, als Referentin geladen, spöttelt: „Da sind mal wieder all die zusammen, die sowieso nicht mehr überzeugt werden müssen.“ Wieder einmal die bekannten Zusammenhänge von Lärm und Herzinfarkt, Graphiken über die „Kosten des Autofahrens: Unfälle, Lärm, Luftverschmutzung“ und, stark im Kommen, auch ein Vortrag über „die Psychologie des Autofahrens“.

Immerhin will die Akademie für Natur und Umwelt des Landes Schleswig-Holstein als Veranstalterin des Kongresses die Einsicht vermitteln, wie „notwendig die Zusammenarbeit zwischen Umwelt, Medizin und Verkehr“ ist. Die gelingt freilich erst in Ansätzen. „Als Ursache macht Angela Boldt „politische Zwänge“ auf die Wissenschaft aus: „Immer neue Gutachten dienen dazu, politisches Handeln auf die lange Bank zu schieben.“

So veranlaßte beispielsweise kürzlich Verkehrsminister Matthias Wissmann ein Gutachten zum Thema Autotelefon. Ergebnis: Die Dinger sind technisch und ergonomisch zur Bedienung mit nur einer Hand geeignet. Wissmann sah daraufhin von Einschränkungen ab. „Aber“, so Boldt, „wir wissen längst, daß es schwerste Unfälle bei Autotelefonaten bei hoher Geschwindigkeit gab.“ Ihr Fazit: „Wir brauchen nicht neue Untersuchungen, sondern eine realistische Einschätzung der Gefahren des Autos.“

Noch immer, so ihre Beobachtung aus dem Alltag des Gesundheitsamtes, würden in der Bevölkerung die Gefahren des Autos unterschätzt. Boldts Hoffnung: „Das Auto muß seinen überhöhten Stellenwert verlieren. Eines Tages sollten wir alle es als das sehen, was es ist: ein Transportmittel mit einem hohen Potential zur Gesundheitsgefährdung.“ Florian Marten