■ Nebensachen aus Rio: Der aufrechte Braulio mag kein Latex
Braulio ist der beste Freund der Brasilianer. Braulio genießt das Leben in vollen Zügen. Braulio erliegt drastischen Gefühlsschwankungen und richtet sich dennoch immer wieder auf. Und jetzt, ausgerechnet jetzt, mitten im brasilianischen Frühling, soll ihm eine Zwangsjacke aus Plastik übergestülpt werden.
„Du bist sehr, sehr häßlich, Braulio“, beschimpft der brasilianische Schauspieler Emilio Mello sein Geschlechtsorgan. Die Unterhaltung mit seinem Alter ego in einem Video für Aids-Aufklärung, das die brasilianische Regierung vor gut zehn Tagen in Umlauf brachte, verläuft wenig schmeichelhaft.
Während Schauspieler Emilio Mello einem Braulio-Doppelgänger aus Plastik fachgemäß ein Kondom überstreift, läßt ein aggressiver Rap im Hintergrund kein gutes Haar an ihm: „Beim Liebesakt bist du schamlos und durchtrieben, Braulio, du aufgeblasener Egoist! Nur von deiner Lust getrieben, drängst du in jedes Loch.“ Die Rapper warnen ihre männliche Zuhörerschaft: „Paß auf deinen Braulio auf. Zieh ihm ein Hemdchen an, damit er nicht erfriert.“
Brasiliens Machos können darüber lachen – nicht so die echten brasilianischen Braulios: „Mein Name existiert nicht mehr. Er ist nur noch Hohn und Spott“, beschwerte sich Journalist Braulio de Souza bei einem Interview mit dem brasilianischen Gesundheitsminister Adib Jatene. Wütend übergab er dem Minister ein elektronisches Penisimitat, das er per Rotstift auf den Namen „Jatene“ getauft hatte.
Und tatsächlich wurde „Braulio“ nach zahlreichen Gerichtsbescheiden wieder getilgt – aus der Kampagne, nicht aus dem Sprachgebrauch. Denn mit dieser klangvollen Mischung aus „Brasileiro“ (Brasilianer) und „Barulho“ (Lärm) kann keiner der zahlreichen Ersatznamen mithalten. Was ist schon Kumpel, Scharfschütze, Kojak, Süßer, Honig, Schlaumeier, Mikrophon, Tiger oder Menschlein gegen „Braulio“?
„Der Penis bleibt namenlos“, titelte die Tageszeitung Folha de São Paulo enttäuscht über den zweiten Anlauf der offiziellen brasilianischen Aids-Kampagne. O Braulio, warum bist du mitten im Aids-Zeitalter so stur? Warum springst du über den Gartenzaun und steckst die Ehefrau des Nachbarn an, von deiner eigenen ganz zu schweigen? Warum setzt du deine Samenergüsse, auf die du so stolz bist, nicht mehr zur Erzeugung, sondern zur Vernichtung menschlichen Lebens ein?
Silvana Coelho, Direktorin der Werbeagentur, die für die Aidskampagne verantwortlich ist, hat die Antwort parat: „Braulio ist eine eigene Persönlichkeit. Er hat kein Verantwortungsbewußtsein und handelt impulsiv.“ Um sich mit ihm zu verstehen, müsse sein Besitzer echte Überzeugungsarbeit leisten.
Die außerordentlich komplizierten Verhandlungen zwischen den geistigen und den körperlichen Extremitäten brasilianischer Männer befinden sich noch im Anfangsstadium. „Die Männer weigern sich, Kondome zu benutzen, auch wenn die Frauen danach verlangen“, sagt Lair Guerra, Koordinatorin der Aids- Kampagne aus dem brasilianischen Gesundheitsministerium. Wie also den Braulio überzeugen, daß Safer Sex nicht lustfeindlich ist?
Von Drohungen läßt sich die impulsive Persönlichkeit nicht einschüchtern. Das Motto „Wenn du dich nicht vorsiehst, bekommst du Aids“, das die brasilianische Regierung für ihre erste Aids-Aufklärungskampagne wählte, erwies sich als völliger Flop.
Und auch die konkreten Zahlen, wonach 500.000 Brasilianer mit dem tödlichen Virus infiziert sind und bei über 70.000 die Krankheit bereits ausgebrochen ist, schrecken Braulio nicht. Fünf Millionen verkaufte „Hemdchen“ im Monat für eine sexuell aktive Bevölkerung von 60 Millionen Menschen – für Kondomhersteller ist Brasilien wahrhaftig keine Goldgrube. Braulio mag kein Latex. Astrid Prange
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