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■ VorlaufWer zu spät kommt

„Willi Münzenberg oder Die Kunst der Propaganda“, heute um 21.45 Uhr, im arte-Themenabend „Moskau – Berlin“

„Der Verräter, Stalin, bist du!“ Es war Willi Münzenberg, der kurz nach Abschluß des Hitler-Stalin- Paktes mit diesem pathetischen Satz den Bruch nicht mit dem Kommunismus, sondern mit dem Stalinschen System vollzog. Der Gründer des nach ihm benannten Medienkonzerns, der Architekt kommunistischer Bündnispolitik, er war zum „trotzkistischen Verräter“ geworden.

Alexander Bohr und Ronny Loewy wollten mit ihrem Film eine Biographie versuchen und gleichzeitig Einblick geben in die Funktionsweise der „Propaganda als Waffe“. Ihre in der Jetztzeit spielende Recherche über die Umstände, unter denen Münzenberg ermordet wurde, ist in Farbe gehalten, Münzenbergs revolutionäre Tätigkeit von den Schweizer Jugendjahren bis zum Exil und die Analyse seiner Propagandaarbeit in Schwarzweiß. Der Schwarzweiß-Teil ist nicht übel geraten, der Farbteil völlig mißglückt. Schon 40 Jahre vor der Recherche der beiden Cineasten hat sich Babette Groß, die Lebensgefährtin Münzenbergs, vergeblich bemüht, „vor Ort“ zu recherchieren.

Wenn es den beiden Filmern wirklich um mehr als verhangene Landschaftsaufnahmen gegangen wäre, hätten sie sich statt in den französischen Jura Richtung Moskau in Bewegung setzen müssen – zu den KGB- bzw. NKWD-Archiven. Denn vieles, zum Beispiel Aussagen ehemaliger Kommunisten, spricht dafür, daß Münzenberg vom NKWD ermordet wurde. Bohr und Loewy, die eine geradezu detektivische Arbeit vortäuschen, erwähnen nicht einmal die Indizien für diese Version.

Da alle Weggefährten Münzenbergs gestorben sind, interviewten die Filmer Filmwissenschaftler. Das mag hingehen, soweit es sich um Recherchen zur Filmproduktion und zur Verleihpraxis des Münzenberg-Konzerns handelt. Daß aber weder Spezialisten zur Geschichte der kommunistischen Bewegung zu sehen waren noch Überlebende der französischen Internierungslager, noch Leute, die in der Pariser „Deutschen Volksfront“ tätig waren, ist einfach unverzeihlich.Christian Semler

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