Bunt bepinselte Sperrholz-Sägearbeiten

■ Die Uraufführung von Rolf Liebermanns „Freispruch für Medea“ in der Hamburgischen Staatsoper verblüffte durch störrisches Kunsthandwerk

Hätten nicht alle Beteiligten vorher den Mund so voll genommen, man hätte das Resultat als biederen Opern-Kitsch einfach links liegenlassen können. Aber angefangen bei dem programmatischen Titel „Freispruch für Medea“, den die Autorin von Ursula Haas' gleichnamigem Roman übernommen hatte, erklärten Ruth Berghaus, Dirigent Gerd Albrecht und der Komponist Rolf Liebermann, ihr ganzes Streben sei es, die verteufelte Symbolik der griechischen Mythenfigur zu zerbrechen und mit ihr die ganze Weiblichkeit vom Vorwurf der Bösartigkeit und der Mordlust zu befreien. So weit, so edel. Nur, warum kam davon auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper bei der Premiere am Sonntag so gut wie nichts nieder?

Zunächst war da ein an sich schon verquastes Libretto, das durch die freie Tonalität der Singstimmen überhaupt nicht mehr zu verstehen ist. Textzeilen wie „Purpurschwarz züngelt Korinth“ verderben, wenn man sie denn entziffern kann, auch den verzweifeltsten Mut, den Inhalt des Stückes zu begreifen. Bunt bepinselte Vergrößerungen von Sperrholz-Sägearbeiten, die mit ungeheurem technischem Aufwand über die Bühne geschoben werden, und schlechtsitzende, teure Kostüme, deren thematischer Bezug zu den in ihnen strampelnden Personen mindestens so unklar ist wie das gesungene Wort, erflehen geradezu den Schuldspruch, Kunsthandwerk zu sein. Daß man in einer Zeit, in der es Bühnenkünstlerinnen wie Anna Viebrock gibt, in der Oper brav weiter im postmodernen Farbenrausch der Achtziger sein Heil sucht, ist sicherlich einer der Gründe, warum die Oper ihren Muff nicht verliert.

Mag es bei der Austattung zumindest teilweise noch um Geschmacksfragen gehen, so gibt einem die vermeintliche Emanzipation der Medea aus den Fängen männlicher literarischer Projektionen durch Ruth Berghaus doch nur die Erkenntnis an die Hand, daß wer in der Oper vom Erdbeben spricht, meist nur ein Schaukelpferd meint. Da watscheln zwei reich beleibte Opernstars als Medea und Jason (Françoise Pollet und Aage Haugland) wie Trolle durchs Märchenland und repräsentieren in der eineinviertelstündigen Spieldauer nichts von dem, was den antiken Mythos spannend und tiefgründig macht. Weder Gewalt noch Erotik, weder Verlangen noch politische Ränke, kein Haß, kein Zorn, keine Geilheit, nichts von der menschlichen Glut und Verwirrung, die die Menschheit seit knapp drei Jahrtausenden an der Medea-Figur fasziniert haben, findet Eingang in Ruth Berghaus' Regie.

Statt den personifizierten Konflikt zwischen Matriarchat und Patriarchat, zwischen religiöser Befangenheit und kolonialistischer Gier durch Berührung, Kampf und Leidenschaft darzustellen, flieht die ehemalige Star-Regisseuse der DDR übersprungshaft in maschinelle Massenchoreografien. Ein Frauenchor in dunklen Lederoveralls, die in halb zackigen, halb spastischen Bewegungen willenlose Ferngesteuertheit demonstrieren, wäre zu alten Ostblock-Zeiten sicherlich eine lustige Parodie auf die Freie Deutsche Jugend gewesen. In einem Stück, daß der Instrumentalisierung der Frau durch die männliche Literaturschreibung begegnen will, führt diese Schlüsselszene eher zu ungläubigem Kopfschütteln.

Wer nun die Augen vor dem Elend schloß, konnte immerhin den Wert der Liebermannschen Musik ermessen. Daß sein moderater Umgang mit Dissonanzen und Klangexperimenten der zeitgenössischen Musik eine wohltuende und dringend benötigte Normalität, ja Alltäglichkeit gibt, ohne mit falschen Nachbarschaften zu fraternisieren, gibt ihr Bedeutung. Denn anders als viele seiner Zeitgenossen vermeidet Liebermann das penetrant Erhabene, das absichtlich Extreme, die bunte Klanggarderobe. Der Schweizer Komponist und langjährige Intendant in Hamburg und Paris, dessen 85. Geburtstag der Anlaß für diese Uraufführung war, ist immer schon ein bescheidener Anwalt der Moderne gewesen, und so klingt auch seine Musik im Alter. Unprätentiös, reif und freundschaftlich. Till Briegleb

„Freispruch für Medea“; Komponist: Rolf Liebermann; Regie: Ruth Berghaus