Glaube, Liebe, Hoffnung im Internet

■ Norbert Bolz' nützliche Hinweise zur besseren Ausbeutung von Subkulturen

Nur durch gnadenlose Werbung wird ein Produkt megaout. Denn ist es erst in aller Munde, kann jeder schmecken, daß der gleiche Quark nur mit neuem Etikett vermarktet wurde.

Norbert Bolz, neuer Kultautor des Econ Verlages, legt das Buch „Kult-Marketing: Die neuen Götter des Marktes“ vorgelegt. Wer Bolz kennt, wird sich fragen, warum der egomanische Professor für Kommunikationstheorie die Hilfe des Trendforschers David Bosshart beansprucht. Die Antwort: Er tut es nicht wirklich. Bossharts Beitrag beschränkt sich auf knapp ein Drittel des Werkes und vor allem darauf, dieses neu erscheinen zu lassen. Das ist auch bitter nötig, da Bolz erneut seiner Überzeugung huldigt, daß man im Computerzeitalter keinen Autor brauche und Geist sowieso nur der „Inbegriff aller möglichen Datenkombinationen, Kultur das Spiel auf der Tastatur des Gehirns“ sei. „Kult-Marketing“ zeigt mehr als die übrigen Werke des ehemaligen Philosophen, daß man darunter insbesondere ein Spiel mit der Copy- und Del-Taste zu verstehen hat. So hat Bolz mehrfach bewiesen, daß gerade der Sachbuchmarkt im Zeichen des Samplings steht: Aus seiner noch philosophischen „Theorie der neuen Medien“ hat er das „Ende der Gutenberg-Galaxis“ gemacht, und aus dem Opus „Die Welt als Chaos und als Simulation“ das managergerechte „kontrollierte Chaos“, das nun, wie auch die „Gutenberg- Galaxis“, in „Kult-Marketing“, das Schlußlicht dieser Reihe, eingegangen ist.

Leider verdienen diese mehrfach recycelten Light-Produkte nicht den Grünen Punkt, denn sie sind mit dem schleichend wirkenden Gift einer hemmungslosen Machtphilosophie versetzt. Wer über den eigenen Willen zur Macht und dessen Risiken restlos aufgeklärt ist, agiert nicht mehr als Ideologe, sondern als Marketing- und Management-Berater. Vielleicht bewog die Brot- und Folgenlosigkeit gegenwärtiger Philosophie Bolz, diese kurzerhand für tot zu erklären und sich willig in den werbewirksamen Verdacht zu begeben, „Herold einer neuen Barbarei“ des „rechten Zeitgeistes“ zu sein. Und zwar ganz nach dem Motto: Wenn es kein richtiges Leben im falschen gibt, dann kann nur das Falsche einziger Maßstab sein, sprich: der Schein. So propagiert Bolz die Remythisierung der rationalistisch entzauberten Welt mittels einer alle Grenzen sprengenden Technologie, mit der sowohl das Buch der Natur neu geschrieben als auch die totale Herrschaft des Scheins und Konsums errichtet werden soll. Hier kommen die wenigen neuen Ansätze von „Kult-Marketing“ zum Zug.

Seit sich unser Begehren vom jenseitigen Reich Gottes und dem diesseitigen des Kommunismus gelöst hat, flottiere es frei zwischen den stets neu erscheinenden Göttern des heidnischen Marktes: Coke, Marusha, Adidas etc. Deshalb brauche es Produkte, die kultische Verehrung auf sich ziehen. Da diese mit der Mode gehe, sei Konsum selbst zum Kult, zur „ultimativ letzten Religion dieser Welt“ geworden.

Das Göttliche steckt im Netzwerk

Kult-Marketing soll den Unternehmen nicht nur erlauben, Normalverbraucher zu binden, sondern auch Antworten „auf die Konsumverweigerung der Generation X und der Technokultur“ zu finden. Um „die Subkultur mit ihren eigenen Waffen“ zu schlagen, empfehlen die Autoren Trendforschung in Echtzeit, was heutzutage nur durch Szene-Spione und Computer zu haben ist. So sei nichts näherliegend als die telematischen Produkte der Zukunft als Kult- Produkte zu stilisieren und das „irrationale Begehren“ der Konsumenten an das telematische Netz zu knüpfen: Da „Religio“ im lateinischen sowohl Kult als auch (Rück-)Bindung heiße, müsse das uns verbindende telematische Netz als „Implementierung der Religion“ verstanden werden. „Glaube, Liebe und Hoffnung übernimmt das Internet. Das Göttliche ist das Netzwerk.“ Mit immer perfekteren Simulationen von Bedürfnisbefriedigung werde es uns ohnehin fesseln. Den Medien- genau wie den Moderummel könne man nicht und sollte man daher „gar nicht erst ignorieren“. Immerhin: Individualisierung bleibt als die des Konsumenten bestehen. Ein telematisches Mikro-Marketing wird dessen Begehren bis zum logischen Grenzwert registrieren: „Tod des Massenmarktes“.

Der Versuch, das Hexenbuch des Marketing der Zukunft zu schreiben, erbringt keine brauchbaren Zauberformeln, sondern Altbekanntes in neu gesampelter Form, die uns das Vorwort als lesefreundliche, „modulare Anordnung“ anpreist. So ist ein Satz, der Sprünge, Widersprüche und Wiederholungen übertünchen soll, nicht zufällig der häufigste im Buch: „Davon später mehr.“ Dirk de Pol

Norbert Bolz, David Bosshart: „Kult-Marketing. Die neuen Götter des Marktes“. Econ Verlag 1995, 376 Seiten, geb., 68 DM