Chiles alter Putschist sieht sich wieder mal bedroht

■ Ex-Diktator Pinochet kämpft gegen ein Gesetz, das seine Macht beschneiden soll

Santiago (taz) – Unter Freunden wird Chiles Präsident Eduardo Frei schon mal deutlich. Das Thema Menschenrechte müsse endlich vom Tisch, klagte der ehemalige Bauunternehmer bei einem Essen mit den einflußreichsten Geschäftsleuten des Landes. Es gehe nicht an, daß Prozesse immer wieder zu Image-schädigenden Machtproben mit den Militärs führten.

Monatelanges Gezerre um die Verhaftung des Ex-Geheimdienstchefs Manuel Contreras und öffentliche Solidaritätsbekundungen mehrerer hundert Offiziere mit dem wegen Mordes Verurteilten hätten Chiles Ansehen Schaden zugefügt.

Um „das Land zu versöhnen und die Übergangsperiode abzuschließen“, trat der Präsident Ende August die Flucht nach vorne an. In einer Radio- und Fernsehansprache sagte er seinem Volk, es sei an der Zeit, sowohl die Wunden der Opfer zu schließen als auch die weiterhin gültige Pinochet-Verfassung zu korrigieren.

Dazu schlug er ein Drei-Punkte- Programm vor: Erstens sollen Sonderermittler zwei Jahre lang die noch ungeklärten Fälle von 1.102 verschwundenen Gefangenen klären, ohne dabei jedoch die Namen der Täter zu ermitteln. Ist klar, was geschehen ist, werden die Verfahren unter Anwendung des Amnestiegesetzes eingestellt.

Der Präsident selbst erhält zweitens wieder die Befugnis, führende Offiziere zu ernennen oder zu entlassen.

Und drittens wird die Macht der Armee, insbesondere die des ehemaligen Diktators Augusto Pinochet, beschnitten, indem die von ihm eingesetzten acht Senatoren, die noch immer eine Sperrminorität bilden, aus dem Senat entfernt werden.

Kein Wunder, daß der Ex-Putschist und Immer-noch-Heereschef Pinochet seither kaum noch ruhig zu bekommen ist. Am Wochenende forderte selbst Verteidigungsminister Edmundo Perez Yoma den ehemaligen Diktator recht unverblümt auf, endlich den Mund zu halten und sich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen. Augusto Pinochet hatte in einer Fernsehrede erneut aufgefordert, die Vergangenheit zu vergessen und die noch anhängigen Verfahren gegen die Militärs einzustellen. Vor allem aber wetterte Pinochet gegen Freis Idee, künftig solle der Präsident die Militärs bestimmen und absetzen können. „Zwingen Sie mich nicht zu einem zweiten Putsch!“ soll der 79jährige Pinochet dem Verteidigungsminister zugeraunt haben.

Auch die Angehörigen der Verschwundenen lehnen Freis Initiative ab. „Schon heute lassen sich die Mörder unwidersprochen als Väter des modernen Chiles feiern“, beklagt ihre Sprecherin Sola Sierra. „Wenn die Prozesse ohne Nennung der Schuldigen eingestellt werden, dann kommt zur Straffreiheit auch noch die moralische Absolution.“ Thomas Nachtigall