: Peinliche Enthüllungen über den Guru
In Indien – aber auch anderswo – unterwerfen sich erstaunlich viele Politiker kritiklos den Einflüsterungen selbsternannter Heiliger. Chandraswami trieb es zu weit ■ Aus Delhi Bernard Imhasly
Swamis, Yogis und Gurus gehören zu den erfolgreicheren Exportprodukten Indiens. Manche von ihnen haben Menschen im Westen zweifellos neue Wege der Selbsterfahrung erschlossen. Andere haben ihr geistiges Brot für klingende Münze oder psychologische Abhängigkeit verkauft. Im indischen Denken sind „materiell“ und „spirituell“ ohnehin kein Gegensatzpaar, und die goldbekleidete Lakshmi, Patronin des Reichtums, gehört ebenso ins hinduistische Pantheon wie der asketische Shiva.
Auch in Indien scheuen sich selbsternannte Heilige daher nicht, ihre Anhänger zum einfachen Leben anzuhalten und sie gleichzeitig aufzufordern, ihren prunkvollen Lebensstil mitzufinanzieren. Und wo religiöse Kräfte sich für materielle Zwecke gebrauchen lassen, kann man sie auch für politische Macht nutzen, um so mehr als sich erstaunlich viele Politiker kritiklos den Unterweisungen und Weissagungen ihrer Gurus unterwerfen.
Niemand hat diese Willfährigkeit mit größerer Unverfrorenheit ausgenutzt als Nemi Chand Jain, der sich den Namen Chandraswami zulegte, damit von vornherein keine Zweifel über seinen spirituellen Ahnenbaum bestehen. Mit orangefarbener Robe und Asche auf der Stirn verschaffte er sich Zugang zu Gesellschaftsgrößen, absolvierte salbungsvoll in den Heimen von Politikern weihrauchgeschwängerte Rituale und verkaufte dann sein Entree zu den Mächtigen an Geschäftsleute, die eine Bewilligung brauchten.
Gleichzeitig sicherte er sich die Abhängigkeit von Politikern auf seine Art: Er ließ kompromittierende Dokumente, Videos und Tonaufnahmen sammeln, die auch einem abtrünnigen Anhänger den Mund verschließen würden.
Der Erfolg des „Jet-set-Yogi“ war denn auch beeindruckend; Premierminister Rao gehört zu seinen frühesten Eroberungen, aber auch Raos Vorgänger Chandrashekar ist ein Schüler, und Indira Gandhi war für ihn geradewegs seine „spirituelle Schwester“. Als Chandraswami am 10. November 1994 seinen protzigen „Ashram“ am Südrand von Delhi einweihte – das Land hatte ihm die Regierung geschenkt –, standen nicht nur Kabinettsminister zur Begrüßung Schlange, sondern sogar kommunistische Oppositionspolitiker und hartgesottene Unternehmer. Und wer glaubt, diese Anfälligkeit für Scharlatane sei eine indische Schwäche, irrt: Chandraswamis Kontakte zur internationalen Schickeria lesen sich wie ein Who's who: US-Politiker Cyrus Vance gehört ebenso dazu wie Waffenhändler Adnan Kashoggi und Elizabeth Taylor, britische Lords ebenso wie der Sultan von Brunei und schwedische Geschäftsleute.
Seit kurzem ist der Swami wieder in den Schlagzeilen. Ein Berufsmörder, der im Dienst des Mafia-Dons Dawood Ibrahim stand, hat nach seiner Verhaftung ausgesagt, Chandraswami habe Kontakte mit Ibrahim gehabt. Dawood Ibrahim wird verdächtigt, hinter den Bombenanschlägen auf die Börse von Bombay im März 1993 zu stecken. Damit wird die Beziehung plötzlich zur Staatsaffäre, und Innenminister Rajesh Pilot forderte die Bundespolizei vor einigen Tagen auf, den heiligen Mann zu verhaften. Der Swami entzog sich der Zelle mit einer Gegenklage. Immerhin konnte die Polizei den Paß des „fliegenden Yogi“ konfiszieren. Bereits 1990 war Chandraswami nämlich aus dem Land geflohen, als ihn der damalige Premier V.P. Singh verfolgen ließ, weil er dessen Regierung mit gefälschten Dokumenten zu stürzen versucht hatte.
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