piwik no script img

Berisha setzt Kommunisten vor die Tür

■ Albaniens Parlament suspendiert KPler vom Staatsdienst

Wien (taz) – Auf den ersten Blick scheint Albanien mit seiner Vergangenheitsbewältigung Ernst zu machen: Am Samstag beschloß das Parlament in Tirana ein Gesetz, das ehemalige Funktionäre der Kommunistischen Partei und des Geheimdienstes Sigurimi von gehobenen Positionen im Staatsdienst und der Justiz ausschließt. Nach Tschechien ist die Balkanrepublik somit das zweite osteuropäische Land, das ehemalige Kaderleiter und Parteibonzen von öffentlichen Ämtern verbannt – bis zum Jahre 2002 sollen die alten Schergen in der Politik nicht länger mitmischen können.

Das klingt plausibel für ein Land, in dem das stalinistische Regime bis Ende der 80er Jahre dauerte und unliebsame Bürger noch in einem Gulag-System verschwanden, als anderswo in Osteuropa längst die Perestroika begonnen hatte. Die Albaner entledigten sich ihrer alten KP-Garde erst im Herbst 1990. Dann dauerte es weitere eineinhalb Jahre, bis eine frei gewählte bürgerliche Regierung die in der Zwischenzeit zu Sozialisten mutierten Altkommunisten ablöste. Seit 1992 herrscht Sali Berisha, ein Günstling des alten Regimes, der sich jedoch in den Tagen des Umbruchs zum Wendehals mauserte. In den vergangenen Jahren distanzierten sich die meisten der ehemaligen Reformer und Kampfgefährten von ihrem eigenwilligen Präsidenten, die Bevölkerung murrt seit langem über den von oben verordneten Sparkurs.

So wiederholt sich in Albanien, was sich schon in Polen und Ungarn vollzog: Die Demokraten, die nach der Wende zu viel versprachen und die Aufgaben bei der Umstellung von der Plan- zur Marktwirtschaft unterschätzten, werden nun für die Fehler der Vergangenheit verantwortlich gemacht. Die Wende-Sozialisten als eigentliche Urheber der Misere aber sind nun die Nutznießer der verfahrenen Lage. Allen Umfragen zufolge würden sie heute im Parlament die Mehrheit erringen. Selbst dem einst verhaßten KP- Chef Ramiz Alia scheinen die Bürger mehr zu trauen als Berisha.

Der Präsident ist sich dieses Meinungsumschwungs längst bewußt, doch anstatt die Reformen voranzutreiben, beschäftigt er sich vornehmlich mit der Festigung seiner eigenen Macht. Schon im vergangenen Jahr versuchte Berisha eine auf seine Person maßgeschneiderte Verfassung durchzudrücken, nach deren Entwurf der Präsident sogar den Einsatz der Armee bei inneren Konflikten hätte befehlen können. Da im Parlament dafür aber die notwendige Mehrheit nicht zustande kam, sollte eine Volksabstimmung dieses Machwerk absegnen.

Auch dies wurde zum Flop des Präsidenten, das Volk sagte nein. Nach langem Manövrieren gelang es Berisha nun, das Parlament davon zu überzeugen, daß die ehemaligen Roten von der Macht ferngehalten werden müssen. Das jüngste „Verbannungsgesetz“ diene gerade diesem Ziel, kommentierten gestern die beiden einzigen parteiunabhängigen Tageszeitungen Koha jone und Gazeta Shqiptare. Der Verdacht komme auf, daß es nicht um die Aufarbeitung der Vergangenheit gehe, sondern um das Ausschalten potentieller Gegner. So fragt Koha jone: „Wann werden denn endlich die Stasi-Akten unseres Landes geöffnet, damit jeder nachschauen kann, wer zu den Tätern zählte, und das verdeckte Spiel mit den Akten ein Ende findet?“ Man solle sich nichts vormachen, schreibt das Blatt weiter, die albanische Gesellschaft sei nicht mit der polnischen oder tschechischen zu vergleichen, wo es gegen Ende der sozialistischen Herrschaft eine ausgeprägte Demokratie- und Menschenrechtsbewegung gegeben habe. Dagegen sei in Albanien jeder irgendwie mit dem alten System bis zu dessen Zusammenbruch verbunden gewesen – auch Sali Berisha. Karl Gersuny

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen