Mutter der Nation und Dienerin des Staates

■ Im Gespräch: Die Oldenburger Kunsthistorikerin Prof. Dr. Silke Wenk über weibliche Akte und Denkmäler im öffentlichen Raum

Bilder des Weiblichen finden sich viele im öffentlichen Raum. Denkmäler, die an das Leben bestimmter Frauen erinnern, sieht man jedoch nur selten. Stattdessen gemahnen etwa Viktoria und Justitia an übergeordnete Werte. Welche das sind, und was für Konstruktionen von Weiblichkeit dahinter stehen, analysierte die Kunstwissenschaftlerin Prof. Dr. Silke Wenk. Sie hat an der Uni Oldenburg eine von bundesweit insgesamt drei Kunstgeschichts-Professuren mit dem Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung inne.

taz: Im öffentlichen Raum gibt es eine Vielzahl von Abbildungen von Frauen – Denkmäler, Skulpturen –, andererseits sind Frauen an der Gestaltung des öffentlichen Bereiches, etwa der Politik, nur marginal beteiligt. Wie erklärt sich dieses Phänomen? Woran beispielsweise liegt es, daß Frauen erst seit diesem Jahrhundert als Rechtssubjekte anerkannt werden, während Justitia über die Gerechtigkeit wachte?

Silke Wenk: Es gibt eine massive Diskrepanz zwischen dem, wie Frauen, oder genauer, Weiblichkeit an öffentlichen Plätzen ausgestellt und seit über hundert Jahren präsentiert wird und dem, was die Frauen tun können, tun sollen, und in welchen Bereichen sie agieren. Das hängt mit der Entwicklung der Moderne zusammen und wie sich dabei die Machtverhältnisse verändern. Mit der Französischen Revolution ist das Bild des Herrschers zunehmend aus den Zentren der öffentlichen Darstellung von Macht verschwunden und an diese Stelle traten Bilder von Weiblichkeit: die Liberté, die Republik, oder später auch die Nation, nicht nur in Frankreich. Diese neuen Bilder von Weiblichkeit scheinen geeignet, ein Gefühl von Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft herzustellen. Es wird damit eine Vorstellung von Gemeinschaft ins Bild gesetzt, in der es nicht antagonistisch zugeht, in der sich die Interessen vereinen, verbinden. Ich habe das als „Bilder imginärer Gemeinschaftlichkeit“ bestimmt.

Geht es darum, die Utopie einer Gesellschaft aufzubauen, die die Beteiligung der Frauen zum Ziel hat?

Ich denke nicht, daß in solchen Bildern die utopische Situation einer gleichberechtigten Stellung von Frauen dargestellt wird. Dargestellt wird etwas, das es nicht gibt, das aber den Zusammenhalt einer patriarchal strukturierten Gesellschaft sichern soll. Die Bilder von Weiblichkeit haben nicht selten in der Geschichte die Funktion gehabt, die Bereitschaft der Männer für den Krieg zu forcieren, also zur Verteidigung des sogenannten Eigenen, etwa der eigenen Nation gegen die andere zu mobilisieren. Sie hatten durchaus auch den Zweck, das, was mit dem Bild von Weiblichkeit vorgestellt war – die Nation – auf Kosten des Lebens der anderen und notfalls auch des eigenen aufs Spiel zu setzen.

Meinen Sie das, wenn Sie von „Bildern des Weiblichen als Allegorie des Staates“ sprechen?

Allegorien bedeuten, etwas darzustellen, was nicht abbildbar ist – zum Beispiel den Staat oder die Nation. Es geht darum, ein Bild von dem zu finden, dem sich die Menschen zugehörig fühlen sollen und dem sie auch ihre Interessen als Privatleute unterzuordnen haben. Wenn wir an die Allegorien des 19. Jahrhunderts denken, beispielsweise an die Germania oder an die Viktoria, sind das Aufforderungen an die Unterordnung der jeweilig partikularen Interessen unter bestimmte Ziele. Was unterscheidet die Viktoria auf der Siegessäule von Denkmälern, die Männer darstellen?

Frauen mit Namen kommen auf öffentlichen Plätzen kaum vor. Das Nichtvorhandensein von Denkmälern mit Namen für weibliche Persönlichkeiten geht zusammen mit den Bildern des Weiblichen als Bilder für übergeordnete Werte. Ich habe lange darüber nachgedacht, warum eigentlich das Bild von Männern, die ja gemeinhin als handelnde, die Geschichte in Bewegung setzende Individuen vorgestellt werden, nicht ausreicht, die gemeinsame Sache, die der Staat zu vertreten beansprucht, durchzusetzen. Das liegt wohl daran, daß mit dem Bild von Männern meist konkrete Namen, Konflikte verknüpft sind, Heldentaten, die gegen andere gerichtet waren. Der Vorteil von Weiblichkeitsbildern ist offensichtlich, daß sie solche Erinnerungen nicht unbedingt wachrufen.

Abbilder des Weiblichen hat es schon vor der Französischen Revolution gegeben. Warum setzen Sie gerade da einen Zeitschnitt an?

Ich würde nicht von Abbildern sprechen, denn den Bildern liegt eine Konstruktion von Weiblichkeit zugrunde. Sie sind Idealgestalt oder Idealbild, welches erhöht auf den Sockel gestellt wird. Die Vorstellung von Weiblichkeit, die der von Männlichkeit entgegengesetzt ist und die mit biologischen Unterschieden, mit der strikten Bipolarität begründet ist, ist relativ neu. Eine wichtige Voraussetzung für die Allegorien des modernen Staates ist die Festlegung von „Weiblichkeit“. Weibliche Allegorien sind natürlich uralt, sie lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. Aber an zentralen Plätzen werden Bilder des Weiblichen in monumentaler Gestalt erst in der Moderne oder mit der bürgerlichen Gesellschaft dominant. Hier werden sie dann als zentrale Figuren ins Bild gesetzt.

Wäre es eine Fehlinterpretation der Frauen, das als Triumph zu feiern?

Ja, das ist eine verhängnisvolle Illusion. Weil gerade diese Bilder idealisierter Weiblichkeit Machtverhältnisse sichern, die nicht in ihrem Interesse sind, und weil diese Bilder historisch immer mit einem Ausschluß der Frauen aus der kulturellen und politischen Öffentlichkeit einhergehen.

Hat sich die Darstellung des Weiblichen in der Kunst im öffentlichen Raum auch allgemein verändert?

Eine wichtige Veränderung, die im 20. Jahrhundert zu beobachten ist, ist, daß die monumentalen Allegorien der Nation nicht mehr so eine große Rolle spielen. Stattdessen sind mehr und mehr weibliche Aktfiguren zu finden. Es gibt allerdings auch zunehmend männliche Akte. Andere Kunsthistoriker haben das erklärt mit der Durchsetzung der parlamentarischen Demokratie, daß mit den Akten der Mensch an sich dargestellt werden soll.

Heißt das, wir kriegen den quotierten Akt?

Das müßte so sein, wenn diese These stimmen würde, doch es gibt faktisch viel mehr weibliche Akte. Außerdem sind die Positionen der männlichen Akte anders. Auch die Bilder männlicher Körper im Akt enthalten eine Konstruktion, der eine Idealvorstellung von dem innewohnt, was Männer tun oder wie wie sein sollen: zielbewußt, angriffsbereit, aufrecht. Beim weiblichen Akt sehen wir meist Liegende, zu denen der Betrachter in ein spezifisches Verhältnis gesetzt wird. Frauen sind in einer eher hilflosen Position dargestellt, als etwas zu Schützendes, zu Bewahrendes. Es geht eben auch darum, den weiblichen Körper als „Mutterkörper“, als die Gattung reproduzierenden Körper und in diesem Sinne als zu bewahrende „Natur“ darzustellen. Das geht zusammen mit einer staatlichen Politik, die mehr und mehr seit Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Bevölkerungspolitik oder Familienpolitik geworden ist.

Jede größere Stadt, die auf sich hält, hält sich eine Henry Moore-Plastik. Mitunter unter Protest der Bevölkerung. Was für eine Bedeutung haben die Werke von Henry Moore in diesem Zusammenhang?

Ich bezeichne ihn als den Staatsbildhauer des 20. Jahrhunderts, weil seine Skulpturen, vor allem weibliche Liegende, wirklich an allen Orten Westeuropas und Amerikas stehen. Es wird gerne geschrieben, daß er die herrschende Vater- und Königsfigur ersetzt hat durch die massigen Mutterfiguren. Dieser Vorgang der Ersetzung ist jedoch bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts zu verfolgen. In Moores Werken wird aber eine Entwicklung zugespitzt, die sehr interessant ist, auch, weil seine Figuren nicht mehr den klassischen ganzen Körper darstellen. Er zeigt Figuren, die Löcher haben, Durchbrüche.

Steckt dahinter das Aufgeben des Bildes von Ganzheitlichkeit?

Ich würde es anders formulieren: Sie sind ein Zeichen dafür, daß dieses Bild des ganzen einheitlichen Körpers nicht mehr einfach funktioniert, vielleicht auch nicht mehr glaubwürdig ist, insbesondere nach der Zeit des Nationalsozialismus, in dem diese Art von idealer Körperlichkeit offensichtlich einen politischen Zweck erfüllt hat. Moores Durchbrüche und Fragmentierungen müssen in dem historischen Kontext der Nachkriegszeit und des Nach-Faschismus gesehen werden. Aber daß sie durchbrochen sind, das ist nur der erste Blick auf die Skulpturen. Denn er macht immer wieder auch ein Angebot für den Betrachter, sich diese Bilder auch als ganze zusammenzusetzen. Moore nimmt einerseits Irritationen der Moderne auf und bietet gleichzeitig Möglichkeiten zur Gewinnung eines neuen Ganzen. Gleichzeitig gibt es von Moore ja auch, gerade aus den 60ern, Figuren, denen man nicht auf den ersten Blick ansieht, ob es männliche oder weibliche Figuren sind. Eine dieser Skulpturen, „Large Two Forms“, steht vor dem Bundeskanzleramt in Bonn. Vergleicht man diese Skulptur vor einer politischen Zentrale der alten Bundesrepublik mit einer Figur, die in die Mitte Berlins gesetzt wurde, nämlich die vergößerte Fassung der von Kollwitz geschaffenen Figur „Mutter mit totem Sohn“ in der Neuen Wache, drängt sich ein Gedanke auf: Die alte BRD hatte „Large Two Forms“, und Bundeskanzler Kohl holte diese Kollwitz-Figur, ein Bild von Weiblichkeit also, das tradiert ist, klar verständlich, das die tradierten Geschlechterverhältnisse unbefragt läßt. Das ist sicherlich nicht nur der unterschiedliche Kunstgeschmack zwischen Kohl und dem ehemaligen Bundeskanzler Schmidt, der der Moderne so aufgeschlossen war und „Large two forms“ aufstellen ließ. Man sieht daran die Kontinuität der Imagination von Weiblichkeit und ihrer Verbindung mit Staat und Nation. Daran hatte auch Moores Skultpur einen nicht unwesentlichen Anteil.

Wie würde ein adäquates Bild von Weiblichkeit aussehen?

Es kann kein adäquates Bild von Weiblichkeit geben, weil die Weiblichkeit nur als Konstruktion zu sehen ist und nur in den Vorstellungen existiert. Ich wünsche mir künstlerische Äußerungen, die die festen Zuschreibungen, Eigenschaften, Tugenden, die vermeintlich den zwei Geschlechtern innewohnen, nicht weiter fortschreiben und fixieren. Ich wünsche mir eher die Dekonstruktion von sogenannter Weiblichkeit. Wir sollten anfangen zu denken, daß es mehr als zwei Geschlechter geben kann, zumindest nicht diese starren Konstruktionen.

Wird es analog zum politischen Gegenwind gegen die Frauenbewegung wieder mehr Kollwitz-Figuren im öffentlichen Raum geben?

Ob wir weiter damit rechnen müssen, hängt auch von uns ab.

Fragen: Dora Hartmann