Rot-Grün nur bei fünf Stimmen Mehrheit

■ Ingrid Stahmer hat die neue SPD-Fraktion begutachtet. Insider rechnen bei Rot-Grün mit drei Wackelkandidaten

Knapp vier Wochen vor der Wahl wird immer deutlicher, daß bei einem knappen Wahlausgang die Chancen für Rot-Grün schlecht stehen. Eine Stimme Mehrheit reicht für die SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer nicht für ein Bündnis mit den Grünen. „Eine, zwei, drei, oder vier Stimmen“ genügen ihr nicht für eine auskömmliche Mehrheit. „Ich will doch nicht jeden Tag mit der Frage nach Hause gehen müssen, bricht die Koalition oder bricht sie nicht“, sagte sie gestern. Auch die Grünen wollen nicht mit einer Stimme Mehrheit regieren. Es gebe in der neuen SPD-Fraktion „zwei, drei Leute, die bei Rot- Grün auf der Kippe stehen“, behaupten Partei-Insider. Dazu zählten unter anderem die jetzigen Abgeordneten Tino Schwierzina und Ralf Hillenberg, die beide in Weißensee ein Direktmandat gewinnen wollen. Beide waren gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Es gehe dabei nicht um einen Rechts-links-Konflikt in der Fraktion, sagte ein prominentes SPD- Mitglied. Abgeordnete aus dem Ostteil seien noch nicht so stark in den Parteiapparat eingebunden und würden deshalb auch abweichend von der Fraktionsmehrheit abstimmen. Schwerwiegendes Beispiel dafür sei die Niederlage des damaligen Fraktionschefs Ditmar Staffelt. Als er vor einem Jahr Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) zum Rücktritt zwingen wollte, weil dieser seinen damaligen Pressesprecher Kontakte zu Rechtsradikalen pflegen ließ, versagten Teile der Fraktion Staffelt die Unterstützung. „Die Angst von damals sitzt der Parteispitze noch heute im Nacken“, sagte das SPD- Mitglied.

Stahmer hat die voraussichtliche Zusammensetzung der künftigen Fraktion bereits unter die Lupe genommen, dementiert allerdings, daß es Wackelkandidaten gebe. Fraktionssprecher Peter Stadtmüller dagegen räumt ein, es sei bekannt, daß der ehemalige Ostberliner Oberbürgermeister Schwierzina und Oberbauleiter Hillenberg „keine Fans von Rot- Grün“ seien. Er widersprach aber ebenfalls der These von den Wackelkandidaten. Als „solidarische Sozialdemokraten“ würden beide auch dann Fraktionsbeschlüsse mittragen, wenn sie in der Minderheit seien.

Den Grünen dagegen würde ein Polster von zwei Stimmen genügen, meinte Schreyer. Bei einer knappen Mehrheit sei besonders wichtig, daß sich die Koalition über mögliche Streitpunkte am Anfang einig werde. Auch bei den Grünen-Abgeordneten wäre die Zustimmung zu Koalitionvereinbarungen leichter, wenn die Parteibasis zuvor ein Gesamtpaket abgesegnet haben würde.

Die Sozialdemokraten seien zerstritten, sagte die Abgeordnete Michaele Schreyer und erinnerte an Frankfurt. Dort trat dieses Jahr der SPD-Bürgermeister zurück, nachdem „Schweine“ in seiner Fraktion die Wiederwahl einer grünen Gesundheitsdezernentin verhindert hatten. Dirk Wildt