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Wer gähnt, sündigt nicht Von Andrea Böhm

Wenn ich jetzt behaupte, in den USA gäbe es eine Pille, deren Nebenwirkung darin besteht, daß man nach jedem Gähnen einen Orgasmus bekommt – ja, dann glaubt das natürlich wieder keiner. Ist aber so.

Anafranil heißt das Präparat, das gegen Depressionen verschrieben wird. Ob und in welchem Ausmaß die Patienten die Nebenwirkung begrüßen, hängt nicht zuletzt von ihrer Geschlechtszugehörigkeit ab. Frauen finden an dem Effekt, für den die Washington Post unlängst die Bezeichnung yawngasm (Gähngasmus) erfunden hat, eher Gefallen als Männer. Daraus Schlüsse über weibliche Lust und Leistungsfähigkeit zu ziehen wäre jedoch ungerechtfertigt. Es hat eher damit zu tun, daß sich die weiblichen Anafranil-Konsumenten im Gegensatz zu den männlichen nach jedem Gähnen nicht mit einem Entsorgungsproblem herumschlagen müssen. Während so manche Patientin mittlerweile die Kunst des Gähnens perfektioniert hat, ist ihr männlicher Schicksalsgenosse mehr mit der Suche nach der passenden Auffangvorrichtung beschäftigt. Ein 24-Stunden- Kondom empfehlen so manche Leidgeprüfte – und klingen dabei schon wieder deprimiert.

Gähnen sieht, von außen betrachtet, wie ein sehr primitiver Vorgang aus, der entweder mit weitaufgerissenem Mund oder vorgehaltener Hand vonstatten geht. Er signalisiert Schlafbedürfnis oder Langeweile, scheint für den Laien ansonsten aber keine weiteren sichtbaren Auswirkungen auf den Körper zu haben. Wer gähnt, so haben wir im Biologie- Unterricht gelernt, gleicht Sauerstoffmangel im Gehirn aus. Gähnen ist oft mit ausgiebigem Strecken und Dehnen der Glieder verbunden – was einen ersten Anhaltspunkt für die Nebenwirkung von Anafranil geben könnte.

Nun könnte man meinen, daß die Erfindung eines solches Medikamentes im Land der Psychotherapeuten und Sex-Ratgeber unausweichlich war. Fakt ist jedoch: Die Wissenschaftler wissen selbst nicht, warum der Konsum eines Antidepressivas, verbunden mit der oral induzierten Durchlüftung des Gehirns, zu einem solch ekstatischen Resultat führen kann.

Das alles hört sich an, wie der Happy-End-Schlußakt zu Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten...“. Doch wie immer im Leben gibt es eine Schattenseite: Bei anderen Anafranil- Konsumenten hilft die Einnahme des Medikaments zwar ebenfalls gegen Depressionen, doch als Nebenwirkungen stellen sich Ejakulationsstörungen oder gar Impotenz ein – egal wie intensiv man gähnt. Niemand kann erklären, warum die einen Glück, die anderen Pech haben. Diese Ungewißheit mag bislang verhindert haben, für das Präparat einen weiteren Kundenkreis zu erschließen.

Allerdings wird nach all der Publicity um den yawngasm in den USA nun das Gähnen in anderem Licht gesehen. Wird sie gleich selig lächeln oder nicht, fragt man sich morgens in der U-Bahn beim Anblick einer gähnenden Mitfahrerin. Fährt der Typ auf der Nebenspur wie ein Irrer, weil er gerade gegähnt hat? Und warum zündet sich der Kollege nach jedem Gähnen eine Zigarette an.

Irgendwann schreit dann das eigene Gehirn nach Sauerstoff – und man stellt fest, daß das Gähnen doch ein recht banaler Vorgang ist. Andrea Böhm

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