■ Blond und bravourös: Das Teenyinferno
: Der totale Pickel

Um die Welt im Zusammenhang zu sehen und zu begreifen, was sie im Innersten zusamenhält, müssen wir zuweilen überlappend fernsehen. Das funktioniert so: Wenn am Sonntag auf RTL 2 für 14:55 die „Bravo Girl + Boy des Jahres Wahl“ anberaumt ist, empfiehlt es sich, schon vorher einige Minuten „Bravo TV“ über sich ergehen zu lassen. Dann erst versteht man das folgende Inferno.

Als Moderatorin Heike Makatsch (die beim Musikkanal VIVA ihr schön blondes Treiben begann und seither von allwissenden Szenegurus wie Alfred, dem Biolek als „Parade-Girlie“ gehyped wird) sich von „euch Lieben“ vor Ausstrahlung der „Bravo Girl + Boy des Jahres Wahl“ mal kurz aus dem regulären Programm verabschiedet, sagt sie nämlich elementar richtungweisende Worte:

„Also, hier noch ein ganz weiser Spruch von Pablo Picasso, so zum drüber Nachgrübeln: ,Der schlimmste Feind der Kreativität ist der gute Geschmack.‘“ Da hat „der gute Picasso“ (Makatsch) verdammt recht. Ab sofort war nämlich gemäß dieser Definition alles weitere ungeheuer kreativ.

Damit hat die pfiffige Heike in einem Wisch ihre Existenz sowie die der von ihr betreuten Sendungen auf Lebzeit legitimiert. Sich einem solchen Martyrium ganz und gar freiwillig auszusetzen mag das Unverständnis vieler hervorrufen. Aber möchte man nicht einmal erfahren, was die Jugend so macht? Wie sie denkt? Oder gar – ob sie überhaupt denkt? Doch, das ist Grund genug.

In der „Krefelder Großraumdisco“ geht es unterdessen hoch her. Sehr viele junge Mädchen kreischen und krampfen und zittern. Auf der Bühne stakst Heike Makatsch hin und her, wird mit einigen Stoffwesen beworfen und sagt immerzu „hihi“ und „sozusagen, näch?“. Dann kündigt sie „ein paar ganz heiße Acts“ an. Als solche entpuppen sich zu Dance-Musik hüpfende, transpirierende, blonde Frauen, deren Bestimmung zu sein scheint, wenig reflektierend um schweißüberströmte Quoten- Schwarze mit ordentlich Muckis vom Basketballspielen herumzupurzeln. Dazu wird holprig gedichtet: „Sex on the phone, I need it so.“ Durch den Fernseher hindurch riecht es nach Turnhalle, nach Gummiabrieb und Hormonauftrieb.

Endlich erklärt uns die liebe Heike das Reglement des Wettbewerbs. Jeweils zehn Jungen und Mädchen sind dazu auserkoren, gewinnend über die Bühne zu laufen. Bei dieser Vorauswahl hatte man Wert darauf gelegt, nur solchen Jugendlichen eine Chance zu geben, die früher im Freibad immer Geld für Pommes hatten. Menschen, die sich für ein Ereignis halten. Die uns vor Augen führen, daß Blödheit siegt, gepaart mit Schönheit, natürlich. Makellose Schönheit: monoton stumpfe Disco-Fressen mit anderen Worten.

Dem Siegerpärchen wurde neben 5.000 Mark die gerechte Strafe in Form eines Modelvertrags in Aussicht gestellt. Den zweiten Siegern sicherte man 1.000 Mark zu nebst der Aussicht, bei einer Kampagne gegen Pickel mit(-ein-)zuwirken.

Ganz ohne Reiz ist das bizarre Schauspiel nicht. Von jedem Kandidaten wird nämlich ein kurzes Video eingespielt, in dem die meisten lasziv im Wasser planschen. Einige bevorzugen mystisches Spiel mit Luftballons. „Klasse siehst du aus“, versichert Heike Makatsch einem jeden aus tiefstem Herzen. Darauf schwitzen wieder Tänzer. Es folgt Werbung, für Computerspiele und gegen Pickel.

Mädchen im Publikum sind durcheinander. Auch Jungs sind zu entdecken. Sie haben Pickel. Beeindruckend dann der nächste musikalische Gast: Die Formation „Scooter“ hat einen nach arischem Vorbild zurechtgebürsteten Frontmann. Er brüllt die Gören an: „Feel the energy!“ Oder doch lieber den „totalen Pickel“? Der Mann ist böse, er schreit, er tobt, er hebt die Faust und schlägt seinen Mikrophonständer kaputt. Singende Menschen demonstrieren gegen Playback. Sehr gut.

„Es geht jetzt sozusagen sehr highlightgeladen weiter, will ich mal sagen“, will Heike Makatsch jetzt mal sagen, und das tut es auch. Siegerehrung jetzt. Die Kriterien für die Auswahl bleiben unklar, aber irgendwer mußte ja gewinnen, und schließlich ist es doch auch wurscht, sahen doch alle gleich aus. Mädchen mit dicken Lippen und langen Beinen; Jungs mit Klamotten, für die ich früher auf dem Schulhof stets verlacht wurde. Als denn: Nico und Katja müssen zusammen nach Paris fahren, und Marco sagt „Danke, ey, ist super“. Gemeinsam mit Christine belegt er den zweiten Platz und darf künftig Basketball gegen Pickel spielen.

Heike Matsch freut sich wild mit allen mit. Sie kann das alles verstehen, sie war ja auch mal jung. Jetzt ist sie 23 Jahre alt und fast schon so etwas wie ein Altstar. Ihren Wechsel zu „Bravo TV“ beschreibt sie korrekt als „Weiterentwicklung, als einen Schritt weg von Pickeln und Clips bei VIVA“.

Am Ende kommt ein dicker, langhaariger Schweizer namens DJ Bobo, der seinen neuen Hit erläutert: Beim Wort „freedom“ alle die linke Faust nach oben reißen. Das sei „das Zeichen für Freiheit“. Er singt und tanzt. Flehentlich ruft er: „Geht das noch lauter?“ Damit endet die Sendung. Eins haben wir alle gesehen: DJ Bobo hat Pickel. Benjamin v. Stuckrad-Barre