Im Gleichschritt in den Fusionswahn

Seit über 200 Jahren war die US-Presse damit beschäftigt, Zensur durch die Regierung abzuwehren. Nun schlucken regierungskompatible Großunternehmen reihenweise Nachrichtensender – und die Presse übt sich in Selbstzensur  ■ Von Jim Squires

Es gab einmal eine Zeit, in der amerikanische Zeitungseigentümer und Journalisten – die weltweit uneingeschränktesten Wächter der freien Meinungsäußerung – im zarten Schutz des First Amendment der US-Verfassung schwelgten, das ihnen ihr Handwerk erst ermöglichte. Wann immer sie bedroht wurden, hüllten sie sich in die brüchige Rüstung aus einigen knappen Urteilen des Obersten Gerichtshofs, die jeglichen Eingriff der Regierung untersagten.

Nach 25 Jahren hat sich die Pressekultur ebenso verändert wie ihre Besitzverhältnisse. Unter den führenden Medienmachern herrscht weltweit Einigkeit darüber, daß die technologische Explosion in den Kommunikationsmedien eine Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch die Regierung unmöglich gemacht hat.

Heute, im Streben um Wohlstand und Überleben, in einer Welt mit Internet und Datenautobahn, marschieren die Eigentümer der US-Presse achtlos im Gleichschritt auf einem Kurs der Selbstzensur, die eine Bändigung durch die Regierung überflüssig, aber nichtsdestotrotz unendlich viel einfacher macht.

Nachrichten als Nebenerwerb

Man braucht eigentlich keine weiteren Beweise, wenn man sich die letzte Welle der vom Wall-Street- Wahn angetriebenen Firmenfusionen anschaut, die bisher schon einige der heiligsten US-Nachrichtensender verschlungen hat. Westinghouse übernahm CBS- News, und die – meistgesehenen – ABC-Nachrichten wurden vom Filmgiganten Walt Disney aufgekauft. Als relativ unbedeutende Tochterfirmen innerhalb eines internationalen Konglomerats schlossen sie sich auf diese Weise dem Schicksal ihrer Konkurrenz an: NBC-News, die General Electric gehören, und CNN, die von einer Troika von Unterhaltungsfirmen kontrolliert wird.

Alle journalistischen Institutionen spiegeln unvermeidlich die Ansichten ihrer Eigentümer wider. Doch die offensichtlichen Implikationen der vergangenen Firmenfusionen hätten in den 60er Jahren noch eine Schockwelle quer durch die amerikanische Presse ausgelöst. Vier große Unternehmen mit ähnlichen Besitzverhältnissen, politischer Ausrichtung und vermutlich auch wirtschaftlicher Interessenlage sind nun in der Lage, Nachrichten und Ideen zu zensieren.

Michael Gartner – ehemaliger Zeitungsherausgeber und lange Zeit Leiter der NBC-Nachrichten – gibt an, daß während seiner ganzen Anstellungszeit kein General- Electric-Vorsitzender je versucht hätte, den Inhalt der NBC-Nachrichten zu beeinflussen. Er meint aber, ABC solle von Disney nicht das gleiche erwarten. Und er hat recht.

Appetit auf Nichtpolitisches

Doch die wahre Bedeutung dieser neuesten Entwicklung in den Presseeigentumsverhältnissen für die Nachrichtenqualität und Fragen der Zensur ist weitaus subtiler. Praktisch werden – nur mit Ausnahme der von der britischen Regierung unterstützten BBC – alle freien und angeschlossenen Nachrichtenagenturen von Firmen kontrolliert, für die Journalismus nur ein Nebenprodukt wesentlich profitablerer Geschäfte ist.

Disney zahlte für ABC 19 Milliarden Dollar und Westinghouse 5,4 Milliarden Dollar für das kleinere CBS. Es geht ums große Geld und um den Anschluß von Nachrichtenstationen als Nebenerwerbsgeschäft. Der Disney-Vorsitzende Michael D. Eisner stufte das Nachrichtengeschäft innerhalb der eigenen Firmenstruktur angemessen ein, indem er den ABC-Handel als einen Versuch Disneys charakterisierte, den weltweit wachsenden Appetit auf „nichtpolitische Unterhaltung und Sport“ auszunutzen.

So gut wie niemand fand etwas dabei, daß der Neuerwerb Eisner auch zum Chef der meistgesehenen Nachrichtensendungen Amerikas machte – „ABC News Tonight“ und „Nightflight“ – sowie der wichtigsten Zeitungen von Kansas City und Fort Worth. Dabei hätte schon das eine landes- und weltweite Protestwelle auslösen müssen.

Die neuen Besitzverhältnisse im Zeitungswesen beinhalten nämlich eine grundlegende Veränderung in der Natur des Verhältnisses zwischen Presse und Regierung. Die ABC-Nachrichten, der Kansas City Star und der Ft. Worth Star haben nun keine eigene Beziehung zur Regierung mehr. Die fällt nun Disney zu oder vielmehr Eisner persönlich. Wie gering auch immer der Anteil von „ABC-News“ am Disney-Imperium ist, Eisner trägt die volle Verantwortung für den Inhalt.

Sowenig er sich auch für die Städte Kansas City oder Fort Worth interessieren mag, er besitzt die Kontrolle über die Qualität ihrer Zeitungen. Eisner oder sein Stellvertreter Michael Ovitz, ein Hollywood-Agent, werden auf Vorschläge oder Beschwerden des Weißen Hauses und der mächtigen Kongreßmitglieder reagieren müssen, mit denen Disney in der Arena der öffentlichen Politik verhandeln muß. Ärgert sich das Weiße Haus über die Nachrichten, oder möchte es von einer Sendeanstalt einen Gefallen getan haben, bekommt der Mann an der Spitze den Anruf. Und umgekehrt. Als der Medienmagnat Rupert Murdoch seine Ansichten zur neuen Telekommunikations-Gesetzgebung kundtun wollte, wandte er sich persönlich an den Regierungssprecher Newt Gingrich, einflußreichster Mann auf dem Kapitol.

Die Lizenzierung der Presse

Diese Praxis ist jetzt in der gesamten Nachrichtenlandschaft üblich. Sowohl General Electric als auch Westinghouse waren bisher wichtige Auftragnehmer der Regierung in Sachen Regierungsverteidigung. Beide Konzerne sind im internationalen Handelsgeschäft tätig – wo Einfluß und Handlungsspielraum der Regierung zu kritischen Faktoren für einen profitablen Umsatz werden können.

Time Warner, Besitzer von Time Magazine und 19,6 Prozent von CNN, sowie Tele-Communications Inc. mit einem fast 22prozentigem Anteil sind direkt von der jährlich wechselnden Gesetzgebung im Telekommunikationsbereich betroffen. Der Software- Gigant Microsoft, von dem CNN- Chef Ted Turner finanzielle Unterstützung für ein Gegengebot zu bekommen versucht, verhandelt zur Zeit mit dem Justizdepartment über die Klärung einer Anti-Trust- Klage. Praktisch alle bereits abgeschlossenen oder vorgeschlagenen Medien-Firmenfusionen konnten aufgrund bestehenden Rechts und den Regelungen zur Nachrichtenübertragung nicht ohne Zustimmung des Justizdepartments und der staatlichen Communications Commission vorgenommen werden.

Als Folge davon blieb der Erwerb von ABC lange in der Schwebe, der von CBS ist es noch immer. Aber wie stehen die Chancen, daß irgendein Gegner der Verhandlungen überhaupt Sendezeit in einer dieser vier großen Sendeanstalten erhält?

Hier liegt der Schwarze Peter. Obwohl es die Medienfirmen nur widerwillig zugeben, läuft das Schlucken von Nachrichtenorganisationen durch große Unterhaltungs- und Kommunikationsunternehmen (die bereits von der Regierung reguliert werden oder von ihr abhängig sind) praktisch auf eine Lizenzierung der Presse hinaus. Überließe man eine solche Kontrolle der Regierung, würde ausdrücklich dagegen protestiert. Doch in Zeiten, in denen die Presse Selbstzensur pflegt, ist das eben ein kaum wahrnehmbarer Unterschied.

Die Führung von General Electric mag NBC vielleicht nie persönlich angewiesen haben, Nachrichten umzuformulieren oder zu zensieren. Aber kein vernunftbegabter NBC-Angestellter würde jemals einen kritischen journalistischen Bericht über irgendwelche Verhandlungen zwischen General Electric und der Regierung in Auftrag geben oder die öffentliche Politik in Frage stellen, von der die Mutterfirma profitieren könnte. Wie stehen die Chancen für ABC- Filmkritiker, einen Disney-Film zu verreißen? Oder für CNN-Recherchen über all die Geschäftemachereien, die sich bei der Erarbeitung des neuen Telekommunikationsgesetzes hinter den Kulissen unvermeidlich abspielen?

Steuerersparnis statt Streitbarkeit

Es besteht wirklich nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, daß die Medien-Zare sich zusammenschließen, um die Nachrichten zu zensieren. Aber die Chancen dafür, daß die Nachrichtenmedien jemals dazu in der Lage sein werden, präzise, umfassend und glaubwürdig über sich selbst – beziehungsweise über einander – zu berichten, stehen genauso schlecht.

Während die Stärke der alten Presse in ihrer Vielschichtigkeit und im Individualismus ihrer Eigentümer lag, besitzt die neue eine dramatisch andere Kultur. Anders als die aus dem Journalismus kommenden Inhaber der Vergangenheit, die dazu neigten, ihren Streit mit der Regierung als auch untereinander öffentlich und über persönliche Rivalitäten auszutragen, sind die Chefs der US-Industrie höfliche, ausgeglichene und professionelle Manager, die der gleiche Erwartungsdruck von finanziellem Erfolg und öffentlicher Anerkennung miteinander verbindet. Was auch immer ihre Differenzen sein mögen, sie wollen dasselbe von der Regierung: Steuervergünstigungen, Gutmütigkeit und keine Einmischung ins Geschäft.

Zwei grundverschiedene Beispiele aus der jüngsten Praxis dieser neuen Welt der US-Nachrichtenmedien zeigen überdeutlich, daß die Regierung die Nachrichten gar nicht mehr zensieren muß. Man schaue sich nur einmal die Sendezeiten an, die der schlüpfrigen, erregenden und doch sinnlosen Gerichtsverhandlung des Footballstars O.J. Simpson in Los Angeles eingeräumt wurden; und vergleiche sie mit den Sendezeiten für das epische Gerangel, das zeitgleich in Washington lief. Dort ging es um die Wettbewerbsfreiheit der Kabelindustrie und um die Versteigerung des Werbemonopols für Nachrichtenübertragung, drahtlose Telefone und Satellitenkommunikation im Wert von 100 und 200 Milliarden Dollar.

Die Gerichtsverhandlung im Fall Simpson paßte nun genau in die „Nachrichten“-Definition einer unterhaltungsorientierten Medien-Firma, die auf Zuschauer, Werbekunden und Profit ausgerichtet ist. Im Gegensatz dazu war der Telekommunikationskrieg fade und zugleich viel zu komplex. Aber was noch wichtiger ist: Die dort agierenden Streithähne waren in Wirklichkeit angeheuerte Lobbyisten der Telekommunikationsfirmen: Kabel-Gurus, Telefonfirmenbosse, Zeitungsverleger und Sender-Häuptlinge.