Unverbesserlich lebenserfahren

Im Generationsbegriff begründet die Pädagogik sich selbst. Das neue Kursbuch zum Thema „Generationenbruch“ legt allerdings auf äußerst unterhaltsame Weise die Einsicht nahe: Eigentlich ginge es auch ganz ohne  ■ Von Bernhard Dieckmann

Der Begriff der „Generation“ ist ein auch pädagogischer mit erheblichen Folgen. Denn immer wollten die Alten mit dem Hinweis auf ihre Erfahrungen mit der Jugend fertigwerden. Wo die Alten zu kulger Lebenserfahrung, Augenmaß, sicherem Takt und Verhaltensroutine gelangt seien, sei die Jugend lebensunkundig und eitel, freue sich ihres gesunden Körpers, „weil in diesem Zaubersack noch alle Erfolge der Welt stecken“ (Robert Musil), ohne daß es zu Enttäuschungen käme.

Auch wenn sich in der modernen Gesellschaft die Differenz zwischen Jugendlichen und Erwachsenen augenscheinlich verringert, ohne daß deshalb schon die jüngeren Generationen aus ihrer sozialpolitischen Generationsverpflichtung entlassen wären (man denke nur an die panische Angst um unsere Renten), so scheint doch die Pädagogik auf den Begriff der „Generation“ nicht verzichten zu wollen – denn mit ihm beschreibt sie nicht einfach altersspezifische Verhaltensweisen und Einstellungen, sondern mit diesem Begriff begründet sie sich selbst als Pädagogik. Und so wie sie überall das Verschwinden der Kindheit feststellt, ohne doch auf den Begriff des Kindes verzichten zu können, so braucht die Pädagogik auch weiterhin den Begriff der Generation. Denn in Erziehung und Bildung nachfolgender Generationen fing es ihr immer auch darum, kulturelle und geistige Wirkungsgeschichte in unseren kleinen Epigonen fortzuschreiben, die uns Ältere vielleicht einmal (etwa von unserer „unbewältigten Vergangenheit“) erlösen werden.

Die Pädagogik hatte nie ein sonderliches Problem mit dem Begriff der „Generation“, sondern höchstens mit dessen inhaltlicher Ausmalung – die 68er, die 89er, die Generation X, die der hypermodernen Medien etc. Auch wenn das Alter kein überlieferter Standort der Reife und Weisheit mehr ist, auch wenn die älteren Generationen keinen Rat mehr wissen, den sie ihr geben könnten, gilt ihnen die moderne Jugend oftmals als autistisch, geschichtslos; sie verleugne ihre Herkunft, verhalte sich individualistisch, jedenfalls nicht traditionell. Bei manchen ist sie schon zu einer „Generation ohne Eigenschaften“ geworden.

Wenn man so will, blieb der Begriff selbst immer durch einen normativen Naturalismus geschützt und daher unangefochten: „Jede Jugend ist die dümmste“ (Ingeborg Bachmann), und „die Kommenden sollen es besser haben“. So daß Immanuel Kant glauben konnte, die älteren Generationen als Träger kultureller Werte und Vermittler sozialer Qualifikation betrieben ihr mühseliges Geschäft nur um der späteren willen, wenngleich nur die spätesten das Glück haben sollen, in dem Haus zu wohnen, an dem eine lange Reihe von Vorfahren glücklos gearbeitet hat.

Und weil man trotz der Folgebereitschaft, die man den Jüngeren zumutet, sie nicht entmündigen, aber eben doch ihr Herz vor Lastern und ihren Geist vor Irrtümern bewahren möchte, drückt die moderne Pädagogik das Erziehungsverhältnis zwischen den Generationen oder die Antwort auf die Frage, was denn eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren will, so aus: Zur Vervollkommnung des Menschengeschlechts könne es trotz der Unverbesserlichkeit einiger Individuen nur kommen, wenn Pädagogik oder Erziehung es fertigbringen, die einem jeden zuzumutenden Pflichten und Haltungen, Kenntnisse und Fertigkeiten als etwas erscheinen zu lassen, was jeder von sich aus will oder eben wollen würde, wenn er so erwachsen oder aufgeklärt wäre, wie er nach seiner Erziehung eventuell ist oder in der Erziehung vermutungsweise schon vorausgesetzt wird. Wo sich die junge Generation als halsstarrig erweist, schwenkt die Pädagogik ins Als-ob.

Die Septemberausgabe des Kursbuchs widerspricht dem heftig. Unter dem Thema „Der Generationenbruch“ wird nicht behauptet – wie in den meisten reinakademischen Abhandlungen über das Generationenverhältnis –, daß die Unterschiede zwischen den Jungen und Erwachsenen und damit Kindheit und Jugend verschwinden, obwohl doch alle wissen, daß die Kleinen immer noch beschult werden, die Älteren in die Berufswelt eintreten und die Alten ihre Verrentung herbeisehnen. Die AutorInnen des neuen Kursbuchs machen einen Generationenbruch plausibel. Die Jüngeren (unter 30) interessieren sich in weniger für die Theorie oder die Klassifikationen (68er, 89er etc.) – für sie „ist aus dem Generationenkonflikt die Luft raus“. Sie beschreiben in spannend zu lesenden Interviews und Texten die „vielen Füße, auf denen sie leben“, „die Liebe“, Leib und Seele, „Klang und Körper“ und die „Girlies“, Frauen, die sich nehmen, was sie kriegen können usw. – ihre Lebenswelt, über die sie sich nicht „beklagen“, denn wer „sich beklagt, hält sich für eine neue Generation“. Die älteren Autoren des Bandes schreiben und denken schon akademischer: Ein Hochschuldidaktiker fragt, ob man die StudentInnen „künftig wirklich nur dort abholen soll, wo sie stehen, um sie ein Stück mitzunehmen“. Der Soziologe stellt den „Wachwechsel bei den Jugendlichen“ fest: von den alten Apokalyptikern und Depris hin zur „Generation neuer Chefjugendlicher, die alles können“, und zu den „Tekkno-Kids“ als Inbegriff „jugendlichen Schwachsinns“.

Weil dieses Kursbuch preiswert ist (was hier lobend erwähnt sei); weil es in ganz unterschiedlichen Beiträgen (von literarischen über künstlerische bis hin zu akademischen) jedem besonderen Lesevergnügen gerecht wird; und weil es gerade deshalb zeigt, daß „Generationenbruch“ heißen kann, daß einige mit „Generation“ nichts mehr am Hut haben und insofern einem alten Stereotyp abschwören, das immer auch infantilisierende und erfahrungshemmende Funktionen hatte, und andere ein neues Nachdenken über ein neues Generationenverhältnis möchten, ist das Buch hier zur Lektüre für alle Generationen empfohlen.

Im übrigen hat der Rezensent selten soviel Vergnügliches über das alltägliche Großstadtleben anderer gelesen, die jünger sind als er – insofern war beim Lesen das Verhältnis vom angeblichen Lernen der Jüngeren und dem vermeintlichen Leben der Älteren wirklich umgekehrt. Und nur selten ist er Texten zum Problem der Generationen begegnet, die eben nicht die Verbesserung der Welt nur über die Perfektionierung der Jugendlichen vorhaben.

Kursbuch 121: Der Generationenbruch. Hg. von K.M. Michel und T. Spengler. 182 Seiten, 15 DM.