■ Zum Richtertag: Die Ahndung von DDR-Staatskriminalität
: Erfolg oder Fehlschlag?

Es war der Wille der letzten – und zugleich ersten freigewählten – Volkskammer, daß nach der Vereinigung die in der Schlußphase der DDR von DDR-Justizfunktionären halbherzig begonnene, wenn nicht aus vollem Herzen hintertriebene, Ahndung von DDR-Staatskriminalität weitergeführt wird. Mit dem Einigungsvertrag stimmte die Volkskammer der Regelung zu, daß das Recht der alten Bundesrepublik nur heranzuziehen sei, wenn es im konkreten Fall eine mildere Strafe vorsehe. Ansonsten seien die in der DDR gültigen Normen anzuwenden.

Die Ausgangsbedingungen für die strafrechtliche Überprüfung von Verstößen des SED-Regimes gegen das selbstgeschriebene Recht waren seit dem 3. Oktober 1990 weitaus besser als jene in der Nachkriegszeit der alten Bundesrepublik bei der Verfolgung von NS-Verbrechen. Wie bekannt, befanden aus der NS-Zeit belastete Richter und Staatsanwälte über den rechtlich verschleierten Terror ihrer Kollegen. Die strafrechtliche Bilanz entsprach dieser Konstellation. Seit der Vereinigung befassen sich nahezu ausschließlich Kriminalisten, Staatsanwälte und Richter mit den Verbrechen der SED-Diktatur, die – überwiegend aus der alten Bundesrepublik kommend – dem SED-Regime nie politisch und beruflich verbunden waren. Unbehindert durch eigene Schuld, Mittäterschaft und kollegiale Verständnisinnigkeit für Beschuldigte können sie ermitteln, anklagen und urteilen. Doch nach fünf Jahren ist die Bilanz nicht unähnlich jener bei der Verfolgung von NS-Verbrechen.

Mehreren zehntausend Ermittlungsverfahren, von denen bereits mehr als zwei Drittel abgeschlossen sind, stehen weniger als tausend Verurteilungen gegenüber. In der Rechtslehre und der obergerichtlichen Rechtsprechung zeigt sich für den emotionslosen altbundesdeutschen Beobachter eine erstaunliche – für jene, die die DDR erlitten haben, eine schmerzhafte – Zurückhaltung bei der Ahndung der von der SED-Führung angewiesenen und von ihren Funktionären in Staat und Gesellschaft exekutierten Befehlen zum Mord, Raub und Diebstahl, zur Rechtsbeugung, zur Freiheitsberaubung und Folter in den Gefängnissen und Vernehmungskellern des MfS.

Absurd, angesichts dieser Bilanz noch von Siegerjustiz zu reden. Die Opfer des SED-Regimes erleben peinigend die Grenzen, die Täter triumphierend die großen Möglichkeiten des Rechtsstaates. Falco Werkentin

Mitarbeiter beim Berliner Landesbeauftragten

für die Stasi-Unterlagen