Millionen Iraker hungern

■ UN-Welternährungsprogramm sieht „irreparable Schäden“ bei Kindern

Genf (taz) – Ein „alarmierender Lebensmittelmangel“ im Irak führt nach Darstellung des UN- Welternährungsprogramms (WFP) „zu irreparablen Schäden bei einer ganzen Generation von Kindern“. Das erklärte der WFP- Chefbeauftragte für humanitäre Notstandsmaßnahmen, Dieter Hannusch, nach einer zweiwöchigen Bestandsaufnahme im seit dem Überfall auf Kuwait unter UN-Embargo stehenden Irak gestern in Genf. Der Anteil wachstumsgestörter Kleinkinder unter fünf Jahren sei mit 29 Prozent so hoch wie in Mali. Viele Kinder hätten „Gesichter wie alte Männer“, ein typisches Symptom der Krankheit Marasmus. Rund 4 Millionen IrakerInnen, ein Fünftel der Gesamtbevölkerung des Landes, sind laut WFP akut durch Unterernährung gefährdet. Darunter 2,4 Millionen Kinder unter fünf Jahren sowie rund 600.000 Frauen, die derzeit entweder schwanger sind oder Babys ernähren müssen.

Der WFP-Beauftragte widersprach Behauptungen, Ursache des Ernährungsmangels sei ein Verteilungsproblem, oder die Regierung in Bagdad halte Lebensmittel und Medikamente zurück, um mit dem Leiden der eigenen Bevölkerung international Druck zur Aufhebung der UNO-Wirtschaftssanktionen zu machen. Hannusch sieht die Hauptursache für die katastrophale Situation im Verlust der Kaufkraft des irakischen Dinars. Rund 70 Prozent der Bevölkerung verfügten nicht mehr über die finanziellen Mittel, um sich ausreichende Nahrungsmittel zu leisten. Der Marktpreis für die Basisernährung einer fünfköpfigen Familie betrage 26 US-Dollar im Monat, das Durchschnittseinkommen im Süden des Landes betrage jedoch nur 3 bis 5 Dollar. Viele Menschen seien nur durch die von der Regierung in Bagdad gesponserten Lebensmittelrationen vor dem Hungertod bewahrt worden, erklärte Hannusch. Diese Rationen deckten allerdings lediglich 50 Prozent des minimalen Kalorienbedarfs. Im Norden des Landes seien zwar die Einkommen etwas höher, aber auch die Nahrungsmittelpreise. „Durch den Verkauf aller Besitztümer“ hätte sich die Mittelklasse bislang über Wasser halten können, berichtete der WFP-Beauftragte. Doch jetzt gebe es „nichts mehr zu verkaufen“. Andreas Zumach