Onkel Giulio und die lästigen Pflichten

Seit gestern steht Italiens siebenmaliger Ministerpräsident Andreotti wegen Hilfe für die Mafia vor Gericht. Die Verteidigung will einen „politischen Prozeß“ – Andreotti selbst zeigt sich gelassen  ■ Aus Palermo Werner Raith

Pünktlich war er, wie immer. In dunklem Anzug, gebeugt ebenfalls wie immer, aber wesentlich entspannter als in den Interviews der letzten Tage: Giulio Andreotti, 76, angeklagt der Beihilfe zur mafiosen Bandenbildung und der Unterstützung der Cosa Nostra, hatte zuerst einmal wieder alle Journalisten genarrt, indem er sein Hauptquartier nicht wie vorgesehen ins Hotel „Villa Igea“ gelegt hatte, sondern ins „Le Palme“.

Vor dem „Aula-Bunker“, dem sogar gegen 500-Kilo-Bomben gepanzerten Hochsicherheits-Gerichtssaal aus den Zeiten der großen Mafiaprozesse der 80er Jahre, entsteigt der siebenmalige Ministerpräsident gelassen seinem gepanzerten Auto, sofort eng umgeben von einem Dutzend Leibwächtern – trotzdem findet er noch die Zeit, den einen oder anderen Polizisten zu grüßen und auch schon mal ein verschmitztes Blinzeln zum Eingang für Jouralisten und fürs Publikum zu werfen. Drinnen muß er sich offenbar nicht einmal sonderlich orientieren – routiniert nimmt er zwischen seinen Verteidigern und vor den Journalisten Platz, als habe er selbst die Sitzordnung bestimmt und als sei ihm alles allenfalls eine so lästige Pflicht wie etwa die Anwesenheit bei Preisverleihungen oder die Eröffnung von Messen oder akademischen Feiern. Eine Routine, die nach Angaben seiner Freunde schon immer zur Verwirrung aller beigetragen hatte: Der Mann ist voll da, wo immer er auch hingebracht wird. Auf den für ihn wohl deprimierendsten Satz des Vorsitzenden „L'imputato é presente“, „der Angeklagte ist anwesend“, reagiert er mit keiner Bewegung.

Unbeweglich lauscht er, nur ab und zu mal wirft er mit dem jeweils extra dazu aufgeschraubten und danach wieder sorgfältig verschlossenen Füllfederhalter einige Stichpunkte auf ein Stück Papier: Staatsanwalt Roberto Scarpineto, ein von schütterem Vollbart eingerahmter wuschelhaariger Ankläger mit einem zum Habichtblick destinierten kalten Augenpaar, widersetzt sich der vordem bereits als ausgemacht geltenden Direktübertragung im Fernsehen – erfolgreich. Zwar darf drinnen gefilmt werden, nicht aber die Verhandlung selbst; ansonsten gibt es nur Rundfunkübertragungen.

Ein Punkt für die Anklage: Andreotti versucht seit Anbeginn, das Verfahren mit dem Odium eines politischen Prozesses zu versehen. Dazu hat er mehr als hundert meist hochrangige Zeugen aufgeboten, vom ehemaligen UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar über den deutschen Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher bis zu früheren FBI- und CIA-Chefs. Aber die fehlenden Live-Bilder mindern natürlich deren Wirkung.

Mehr Stichpunkte macht er sich, als die Verteidigung den kritischsten Punkt dieser Eröffnungssitzung einleitet: sie bestreitet die Zuständigkeit des Gerichtes. Praktisch alle Vorhalte bezögen sich auf Perioden, in denen Andreotti Regierungsämter bekleidete, und insofern sei dafür das eigens für Verfehlungen von Ministern eingerichtete „tribunale dei ministri“ zuständig. Dort walten noch viele Richter, die ihre Ernennung auf diesen höchst bequemen Posten just Andreotti verdanken – das weiß auch die Anklage und widersetzt sich daher vehement dem Ansinnen. Die Anklage gegen Andreotti betreffe nicht Amtsmißbrauch als Minister oder Regierungschef – wofür das Ministergericht zuständig wäre –, sondern rein kriminelle Delikte, und begangen seien diese in Sizilien.

Das Gericht unter dem eher sanguinisch wirkenden Vorsitzenden Francesco Ingargiola zeigt zunächst einmal eine Tugend, die man in Italien bei Gericht nicht oft vorfindet: Er führt insbesondere die immer wieder mal notwendigen Beratungen zügig durch; man bekommt nicht den Eindruck, daß da auch noch einige Cappuccini geschlürft werden.

Vielleicht erweist sich doch jenes Merkmal als positiv, das von vielen Beobachtern zunächst als Handicap eingestuft wurde: Der Mann ist schon 67 Jahre alt, in knapp drei Jahren muß er in Pension: Ist der Prozeß bis dahin nicht zu Ende, könnte es Schwierigkeiten geben. So hat man den Eindruck, daß der Präsident es zunächst einmal allen zeigen will: diesen Prozeß möchte er selbst zu Ende bringen.

Und so sieht man dann doch langsam Wirkung bei Andreotti: gegen Mittag wird er zunehmend unruhiger, bewegt sich mehr. Und einige Male scheint es gar, als lege Chefverteidiger Odoardo Ascari ihm die Hand beruhigend auf den Arm. Doch derlei Gesten mag das Stehaufmännchen der italienischen Politik gar nicht. Unwirsch wackelt er mit dem Kopf. Und als die Sitzung unterbrochen wird, steht er auf, als wäre nichts gewesen. Sein Gesicht wirkt wieder entspannt wie beim Eintritt.

Andreotti hat sich, noch jedenfalls, gut in der Hand.