Berufsverbot verstößt gegen Menschenrechte

■ Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg: Berufsverbot gegen Lehrerin verstößt gegen Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Hannover (taz) – Mit den Berufsverboten gegen politisch mißliebige Beamte hat die Bundesrepublik jahrzehntelang gegen die Menschenrechte verstoßen. Der Europäische Gerichtshof gab gestern einer Klage der 46jährigen Lehrerin Dorothea Vogt statt und wertete ihre Entlassung aus dem niedersächsischen Schuldienst als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Das 1989 in zweiter Instanz vom niedersächsischen Diziplinarhof bestätigte Berufsverbot gegen die Studienrätin verstoße sowohl gegen das Recht auf Meinungsfreiheit als auch gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit, urteilten die Straßburger Richter. Die Lehrerin für Deutsch und Französisch kann jetzt mit Schadenersatz des Landes Niedersachsen rechnen. Über die Höhe will der Europäische Gerichtshof gesondert entscheiden, falls sich das Land Niedersachsen und die Lehrerin nicht einigen sollten.

Dorothea Vogt war wegen ihres Engagements in der DKP im Jahre 1986 vom Dienst suspendiert worden. 1991 stellte die rot-grüne Landesregierung in Hannover sie dann doch als Lehrerin ein. Eine Verfassungsbeschwerde der Studienrätin aus Jever gegen das Berufsverbot hatte das Bundesverfassungsgericht 1990 von vornherein als unbegründet angesehen und nicht zur Entscheidung zugelassen.

Der Europäische Gerichtshof hob jetzt hervor, daß das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch für Beamte gelte. Zwar könne ein demokratischer Staat sehr wohl von seinen Beamten Loyalität gegenüber der Verfassung verlangen, sagte der Präsident des Gerichtshofes, Rolv Ryssdel, bei der Urteilsverkündung. Doch kein anderes Mitglied des Europarates habe diese Treuepflicht derart absolut ausgelegt wie Deutschland im Radikalenerlaß der Ministerpräsidenten im Jahre 1972.

Die DKP, für die die Lehrerin mehrfach bei Wahlen kandidiert hatte, sei keineswegs eine in Deutschland verbotene Partei, betonte das Gericht. Das Engagement für diese Partei sei also völlig legal gewesen. Der Vorwurf, Schüler indoktriniert zu haben, sei nie gegen Dorothea Vogt erhoben worden. Die Entlassung aus dem Schuldienst bezeichnete das Gericht als eine sehr harte und unverhältnismäßige Strafe, da es für einen Lehrer in Deutschland unmöglich sei, eine gleichwertige Beschäftigung zu finden. Im Ergebnis wögen die Rechte der Lehrerin auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit daher schwerer als die Interessen des Staates.

Jürgen Voges Seite 5