Ungreifbar frisch

■ Die geschmackssichere Björk umflort den letzten musikalischen Schrei mit Romantik

Als Björk mit dem Singen anfing, stand sie am Meer. Es ist nicht überliefert, ob die isländische Sängerin die Töne den Wellen entgegenwarf oder zum Himmel hinaufschickte. Heute schiebt ihre Stimme eine Melodie um den Gaumen herum, läßt einen höchsten Ton nach oben sprießen oder einen Mampf-Laut in einer mittleren Lage sich ausbreiten. So bildhaft wie ihre Stimme läßt sich auch die Musik ihrer beiden Solo-Platten beschreiben, die sie seit Auflösung der Sugarcubes aufnahm. Debut und Post enthalten beide den Versuch, eine Stimme, die sich aus einem zerfallenden Song herausschält mit atmosphärischen oder freundlich experimentellen Musikstilen zusammenzubringen.

Ein Problem verbindet jedoch Björk mit zum Beispiel den Beastie Boys: Beide haben „den guten Geschmack“ mit Stumpf und Stil gegessen und beide können den guten Geschmack an jedem Stil beweisen, den sie in einem ihrer Songs unterbringen. Aber sowohl die Beastie Boys als auch Björk mögen oder können auch nicht darauf verzichten, ihr Können immer zu zeigen: Diesen Hipstern bleibt nichts anderes übrig, als ihr Hipstertum wieder und wieder zu kredenzen.

Björk ist jemand, der gut auf das aufpaßt, was so in der die jüngsten Entwicklungen schmelztiegelnden Stadt London läuft. Aber sie tut es wie der Ästhet, der von Ästhetisierung nicht genug bekommen kann. „The Modern Things“ nennt sich eines der Stücke auf Post, in dem die kompetente Musikerin singt, daß die modernen Dinge, wie zum Beispiel Autos, schon immer existiert haben. Björks Talent, den musikalischen letzten Schrei mit Romantik zu umfloren, hat nicht wenige Kritiker hingerissen.

Dies ist wohl eine sehr heutige Tugend: die besten, elaboriertesten Stile zusammenholen und dabei frisch (Beastie Boys) oder frisch und ungreifbar (Björk) zu wirken. Und dann klarmachen, daß man „progressiv“ durch „maximal geschmackvoll“ ersetzt hat. Der Rest ist Feuilleton.

In der Sporthalle sorgt Goldie im Vorprogramm dafür, daß die Frage, wozu Musik eigentlich gut sein soll, doch noch einmal gestellt wird.

Kristof Schreuf Mi., 4.10., 19 Uhr, Sporthalle