Lichtspiele
: Damen gegenüber höflich

■ 100 Jahre Genrekino: Lob des Rittertums

Die große Zeit des Ritterfilms waren die fünfziger Jahre: „Ivanhoe“ 1952, „Knights of the Round Table“ 1953, „The Black Shield of Falworth“ und „Prince Valiant“ 1954 – und ich war im besten Alter, um diese Filme zu erkennen: zu lieben und zu ehren. Denn in jedem kleinen Jungen steckt ein Ritter, wenn nicht gar ein verkannter Königssohn.

Verkannt insofern, als ich, mit Pappkrone, Holzschwert und schneeweißem, schleppenartigem Umhang im Garten umherstolzierend, von einer dunklen Macht (Morgan le Fay?), die sich als meine Mutter ausgab, rüde des Bettlakendiebstahls bezichtigt und überhaupt in meiner Prinzenwürde geschmäht wurde. Doch was machte mir das? Ich wußte ja, es würde kommen der Tag, an dem ich, wie Tony Curtis im „Eisernen Ritter von Falworth“, in meine mir zustehenden Rechte eingesetzt würde. Und dieser schimpfenden Frau, die, alles in allem, eine gute Pflegemutter gewesen war, würde ich großmütig verzeihen und sogar eine ordentliche Rente aussetzen.

Tony Curtis war auch deshalb ein geeignetes Vorbild, als er ungefähr so aussah, wie ich einmal auszusehen gedachte; und weil er, trotz edler Herkunft (wie ich) von der Pike auf das Rittertum zu erlernen hatte: kämpfen mit Schwert, Streitaxt, Morgenstern; Armbrustschießen, turniermäßiges Lanzenstechen etc. – üben bis zum Umfallen.

Doch auch die feinere Lebensart kam nicht zu kurz, als Page in diesen süßen, engen Strumpfhosen: elegante Tischmanieren und den Mundschenk machen; den Damen gegenüber höflich und nimmermüd zu Diensten sein; schließlich Zierlichkeit und Grandezza in Wort und Schrift, bei Spiel und Tanz. Praktisch die allseitig gebildete ritterliche Persönlichkeit.

Oder war ich doch eher Prinz Eisenherz? In den hatte ich mich ja schon bei der Comiclektüre vergafft. Und nun der junge Robert Wagner, der pfeilgerad den Bildern von Hal Foster entstiegen war, die dieser aufwendige, prächtige Film von Henry Hathaway – bis ins Detail nachstellte: Wenn Eisenherz vor dem Schwarzen Ritter – James Mason, der eindrucksvollste, finsterste, melancholichste Tafelrundenunhold aller Zeiten – flieht, vom Baum in den Teich springt und ein Schilfrohr abschneidet, durch das er dann unter Wasser Luft holen kann (man lernte soviel im Kino, fürs Leben, wirklich praktische Sachen eben).

Oder wenn Eisenherz, schwer verwundet, aufwacht und das Gesicht von Janet Leigh über sich sieht. Ihr blondes Haar glitzert, weil der Kronleuchter über ihr aus der Perspektive von Eisenherz wie ein Heiligenschein wirkt, und Eisenherz fragt: „Bin ich im Himmel?“ Schließlich der Schlußkampf, das Gottesurteil im Tafelrundensaal, Eisenherz und Mordred gehen mit Zweihändern aufeinander los, die Fetzen fliegen, alles wird zerdeppert, und dazu diese wunderbare Musik (Franz Waxman).

„Der schwarze Ritter von Falworth“ und „Prinz Eisenherz“ sind Initiationsgeschichten, Bildungsromane. „Ivanhoe“ und „Die Ritter der Tafelrunde“, beide von Richard Thorpe und mit Robert Taylor, haben einen Erwachsenen zum Helden. Nicht jeder jugendliche Heißsporn, der alles noch vor sich hat und dem im Film ein Happy-End geschenkt werden kann, sondern der reife, etwas verdunkelte Mann, der sich zwischen Liebe und Pflicht entscheiden muß; Lanzelots Liebe zu Ginevra (Ava Gardner) oder seine Treue zu Artus (Mel Ferrer); seine Ehre als Ritter oder das Glück als Mann: „In jener Zeit, als Uther Pendragon König und Beherrscher von ganz England war...“

Donnernde Recken mit schwarzem Kreuz

Als Ivanhoe steht Robert Taylor zwischen Joan Fontaine, der blonden Dame, und Elizabeth Taylor, der schwarzen Jüdin Rebecca. Und sie ist so unvorstellbar schön, in ihrem grünen Kleid, daß ich sofort auf die häßliche Fontaine verzichte und nach Amerika auswandern will, um ganz neu anzufangen. Aber es geht ja nicht, meine Ritterehre! Ich habe Joan Fontaine mein Wort gegeben, und mein Leben gehört auch nicht mir, sondern meinem Land, meinem König, der Aussöhnung zwischen Normannen und Angelsachsen. Und auch Rebeccas Vater, der weise Isaak von York, weiß, daß sein Volk in England nur Sicherheit finden kann, wenn der gute König Richard Löwenherz zurückkehren wird: freigekauft von dem Lösegeld der Juden.

Und dann, wenn das Böse schon fast triumphiert hat und Rebecca als Hexe auf dem Scheiterhaufen sterben soll, die Fackeln schon brennen – dann, durch Parallelmontage des sich nähernden Ritterheeres vorbereitet, donnern die Recken mit dem schwarzen Kreuz auf den Turnierplatz, und der gute König nimmt den Helm ab und John, der verräterische Halbbruder Richards, krümmt sich und windet sich wie eine Schlange vor dem Blick des Adlers. Ach ja.

Warum ist „First Knight“, der jetzt in den Kinos läuft, so peinlich mißlungen? Es ist doch die Rittergeschichte par excellence, die von Artus und Camelot, von der Tafelrunde, von Liebe, Treue, Verhängnis und Magie? Zum einen liegt es an den Schauspielern. Richard Gere ist nicht nur unansehnlich (ich habe nie verstanden, wieso er als Sexsymbol gilt), er ist auch einfach kein Lancelot, und konsequenterweise spielt er ihn nicht als einen Ritter, sondern als eine Art Preisboxer mit Schwert. Wenn schon eine Fehlbesetzung, dann ziehen wir das auch durch, mag sich der Regisseur Jerry Zucker gedacht haben, der der Menschheit immerhin komische Meisterwerke wie „Kentucky Fried Movie“ und die „Naked Gun“- Serie geschenkt hat, doch der Artus-Legende bekommt das nicht.

Aber Sean Connery, der ultimative König Artus! Pustekuchen, nicht nur muß er wieder ein schreckliches Toupet tragen, das uns bekennende Glatzköpfe im Publikum erbittert, Connery ist auch so ostentativ lustlos bei der Sache, daß man immerfort seine offene Hand zu sehen glaubt, in die man doch endlich den Millonen-Dollar-Scheck für sein Rumgestehe legen möge.

Schlimmer aber ist etwas anderes: Man wollte einen Film für Kids machen und glaubte zu wissen, daß diese sich nicht für den alten Ritterschrott interessieren, die brauchen Äktschen und keine Dialoge, und Würde, Ehre, Tragik gehen ihnen sowieso am Arsch vorbei. Deshalb hat man fast alles, was einen Ritterfilm ausmacht, vorsichtshalber weggelassen. Die Leute sprechen also wie du und ich – nichts von der rührenden Gestelztheit á la „Ihr, Mylady, seid die Dame meines Herzens für immerdar“; kann man einen mittelalterlichen König bewundern, der wie Jürgen von der Lippe spricht?

Camelot, die Computertechnik macht's möglich, sieht aus wie eine Mischung aus Legoland und Neuschwanstein; der Plot stimmt hinten und vorne nicht: Artus ist milde und abgeklärt, auch erotisch, wie der Vorsitzende eines Seniorenbeirates, kriegt aber plötzlich, weil's so im Drehbuch steht, einen othelloartigen Eifersuchtsanfall; und schließlich und am schlimmsten: All das wunderbare Getue mit Merlin und Morgan le Fay, Zauberei, Liebestränken, Übersinnlichem fehlt einfach („Das geht den Kids doch sowieso am Arsch vorbei“ – welch ein Irrtum!).

Das eherne Gesetz des Genrekinos lautet: Wo Ritterfilm draufsteht, muß auch Ritterfilm drin sein. Und wenn Bresson einen krütischen „Lancelot du Lac“ dreht, so mag man sich langweilen, aber kann doch Respekt haben. Du aber, Jerry, dürftest wissen, daß wir Hollywood lieben, weil man dort dem Affen Zucker gibt.

Wir verlangen also, daß in einem Ritterfilm ein Turnier vorkommt, dessen Beginn die Fanfarenbläser in ihren bunten Wämsen einschmettern, und die Damen in Zaddeltracht (ja, Zaddeltracht) haben diese spitzen Hüte auf (Hennin), und dem Ritter ihres Herzens („Wollt Ihr, Sir Gawein, meine Farben tragen?“) offerieren sie ihren Schleier, und auch der Gral, Excalibur, Parzival und der etwas bräsige Galahad sollen vorkommen – denn wahrlich, ich sage euch: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, Gott, was Gottes, dem Kino aber, was des Kinos ist. Kurt Scheel