Entführung auf dem Dienstweg

■ Das Gelsenkirchener Ausländeramt beugt Recht: Marokkaner wird mit illegalen Tricks abgeschoben

Gelsenkirchen (taz) – Ausländer raus – um jeden Preis. Das scheint die Parole des Gelsenkirchener Ausländeramtes zu sein. In einer sechsseitigen Strafanzeige wirft die Essener Rechtsanwältin Christiane Theile jetzt gleich mehreren Beamten Verschleppung, Rechtsbeugung, Amtsanmaßung und Freiheitsberaubung vor. Die Fakten wiegen schwer.

Am 16. August gegen 10 Uhr morgens erschienen Mitarbeiter des Ausländeramtes Gelsenkirchen auf der Arbeitsstelle des Marokkaners Hamid Mesbahi in Essen. Nach einigem Hin und Her war klar: Die Beamten wollten ihn abschieben. Deshalb rief Mesbahi seine Anwälte an. Am Tag zuvor hatte der Marokkaner, dessen Asylverfahren rechtskräftig abgelehnt worden war, einen Asylfolgeantrag beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf gestellt. Neue Informationen aus Marokko deuteten auf eine aktuelle Gefährdung hin. Ein Folgeantrag schafft zunächst einmal zeitlich Luft. Bis zur Entscheidung darf nicht abgeschoben werden. Als die Beamten von dem Antrag erfuhren, änderte sich ihre Tonlage. Sie baten den Marokkaner nun, mit zum Amt zu kommen, um eine weitere befristete Aufenthaltsgenehmigung zu unterschreiben. Nach Rücksprache mit seinen Anwälten schloß sich Mesbahi ihnen an. Sein Arbeitskollege Klaus Müller erinnert sich: „Die Beamten haben zugesagt, daß er nachmittags wieder zurück sei.“ Doch kaum in der Ausländerbehörde angekommen, schnappte die Bürotür zu. Totale Abschottung und Freiheitsentzug folgten – ohne jede rechtliche Basis. Selbst mit seiner deutschen Verlobten durfte er nicht sprechen. Auf die Aussagen der Beamten vertrauend, hatte die Anwältin der Gelsenkirchener Behörde noch am selben Vormittag den Asylfolgeantrag zur Kenntnisnahme übermittelt. Doch im Amt kannte man nur ein Ziel: die sofortige Abschiebung.

Per Fax ging der Antrag auf dem „kleinen Dienstweg“ an die zu diesem Zeitpunkt gar nicht zuständige Zweigstelle des Bundesamtes in Dortmund. In dem Begleitbrief heißt es wörtlich: „Wie tel. besprochen, übersende ich den Asylfolgeantrag des marokkanischen Staatsangehörigen Meshabi. Die Abschiebung soll heute Nachmittag durchgeführt werden. Ich bitte um eine entsprechende Mitteilung. Danke.“ Die kam dann wenig später: „Folgeantrag abgelehnt“, faxten die unzuständigen Dortmunder Beamten zurück. Um 18 Uhr 45 wurde Mesbahi ins Flugzeug verfrachtet. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Marokko wurde er inhaftiert. Inzwischen steht er seinen eigenen telefonischen Angaben zufolge ohne Papiere unter einer Art Hausarrest.

Noch im August wollte Mesbahi seine Verlobte, die ihm jetzt nach Marokko folgen will, heiraten. Während die Stadt Gelsenkirchen jede Stellungnahme verweigert, erhielt Rechtsanwältin Theile inzwischen Post vom Bundesamt: Auf einem Formblatt wurde ihr mitgeteilt, daß das Amt „derzeit prüft, ob ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wird“. Die Anwältin: „Im Ergebnis bedeutet dies, daß das offizielle Folgeantragsverfahren noch andauert und seinen ,normalen‘ Gang geht. Daraus folgt, daß mein Mandant ein noch andauerndes Aufenthaltsrecht besitzt.“ Nach dem amtlichen Betrug fürchtet Mesbahi in Marokko nun um seine Zukunft: „Egal, wohin ich gehe, ich habe immer Angst.“ Walter Jakobs / Marcus Narloch