Die Russenmafia geht neue Wege

■ Neu im Kino: „Stumme Zeugin“, ein Thriller um echte und falsche Morde – vor laufender Kamera

Mit dem vergleichsweise geringen Budget von fünf Millionen Dollar machte sich Regisseur Anthony Waller nach Moskau auf, um nicht bloß einen Thriller mehr zu drehen, sondern sich auch noch eines skandalverdächtigen Themas anzunehmen. Um snuff-movies geht es, deren „Nervenkitzel“ sich besonders gut verkauft, weil vor laufender Kamera Menschen getötet werden. Doch keine Angst: Diese russisch-britisch-deutsche Koproduktion nimmt snuff nur zum Anlaß, gängige Thriller-Zutaten – bereichert um spannungsfördernde Kommunikationsprobleme – gekonnt aufzubereiten.

Nach Abschluß der täglichen Dreharbeiten zu einer US-low budget-Produktion in einem desolaten Moskauer Filmstudio (gedreht in den legendären Mosfilm-Studios) tut sich im Keller Furchtbares. Die Aufnahmen zu einem Pornofilm geraten zu einem Gemetzel, die ahnungslose Darstellerin wird von Messerstichen durchbohrt. Beobachtet von Billy, der Special effects-Expertin des US-Teams, die sich dummerweise noch in den Studios aufhält, als der Nachtwächter die rostigen Pforten schon verschlossen hat. Zu allem Übel ist sie stumm: Schon deshalb ist um Hilfe zu rufen zwecklos. Die Russenmafia fährt in schicken Oldtimern vor, hochgerüstet, ihr Chef nennt sich „The Reaper“, etwa der Sensenmann. Waller hat dessen Auftritt schon 1985 in Hamburg gedreht, einen einzigen Take, den er dann in die Moskauer Mafiaszenerie montiert hat. Warum der Aufwand? The Reaper, den der Verleih als „mysteriösen Gaststar“ annonciert, wird von dem Hauptdarsteller aus den besseren Le Carré-Verfilmungen gegeben. Angeblich hat ihm das Drehbuch so gut gefallen.

Klar, daß der Reaper die schöne junge Zeugin (Marina Sudina) beseitigen will, und so geben sich der Snuff-Regisseur und sein Darsteller/Mörder alle Mühe, dem Befehl nachzukommen. Wie uns das Leichenschauhaus-Ambiente unlängst in „Nachtwache“ aufs ungemütlichste vorgeführt wurde, machen auch Waller und sein Kameramann (Egon Werdin) aus dem Studiofundus ein Horrorkabinett. War das, was Billy beobachtet hat, wirklich snuff oder wollten es die beiden Übeltäter – zum Wohle des Kunstblut-Mordes – nur glaubwürdiger proben? Denn die zwei bösen Russen können kein Wässerchen trüben, und zu allem Übel ist der wahre Mörder auch der Killer in dem drittklassigen US-Krimi, der tagsüber in den düsteren Studios entsteht.

Die Russen sind und bleiben zwielichtige Gesellen, bei denen man nie weiß, ob sie für die Mafia oder undercover für die Miliz arbeiten. Die stumme Zeugin wird zur Powerfrau, etwa wie Sandra Bullock zuletzt in „Speed“, nur daß sie eben die Klappe hält.

Waller, der sich mit Werbespots einen Namen machte, liefert in seinem Debütfilm überzeugende Cinemascope-Bilder, die sich allerdings selten die (zugegebenermaßen heutzutage hochgesteckten) Genre-Erwartungen sprengen.

Mu

in Filmstudio und UFA-Stern