Schlüsselfälscher im Dienst der Stasi

■ IM „Genua“ bekam für Übergabe von Nachschlüsseln Bewährungsstrafe

Die Grenzposten waren baff. So was hatten sie noch nie gesehen. Im Nullkommanix und ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen, hatte ein Schlüsseldienstprofi am Grenzkontrollpunkt Dreilinden einen verschlossenen Kofferraum geöffnet. Die Grenzer fragten den Fachmann aus Westberlin nach seinem Namen. Das war 1975.

Drei Jahre später, so der Vorwurf der Anklage, soll Bernhard Sch. begonnen haben, seine Fingerfertigkeit in den Dienst des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu stellen. Bis zur Wende soll er dafür 50.000 Mark kassiert haben. Wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit wurde der 53jährige Schlosser gestern vom Kammergericht zu achtzehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre Haft beantragt.

Bei seinen ersten Aufträgen habe er nur Schlüssel für Westfahrzeuge besorgen sollen, über die das Handelsministerium angeblich verfügte, sagte gestern der geständige 53jährige. Daß hinter den Auftraggebern das MfS gestanden habe, sei ihm erst später aufgefallen. Zu spät um auszusteigen. „Die hatten gegen mich viele Sachen in der Hand“, verteidigte er sich. Doch entscheidend für das Geschäft mit Schlüsselbärten war die hohe Verschuldung von Bernhard Sch. Ein Blumenladen und ein Lokal liefen so schlecht, daß er sogar seinen Auftraggeber im Osten um einen Kredit von 20.000 Mark bat. Geld, das er abarbeitete.

Das MfS muß gejubelt haben. Mit Hilfe von IM „Genua“ gelangte es in den Besitz eines Generalschlüssels für die Schließanlage des Savoy-Hotels. Nach MfS-Informationen ein „Treffpunkt von BRD-Agenten“. Was der Geheimdienst mit einem Sicherheitsschlüssel für die Hauptverwaltung der Jüdischen Gemeinde anfangen wollte, ist ebenso unbekannt wie die Anzahl der Krimsektflaschen, die Mielkes Gefolgsmänner nach der Aushändigung eines Polizeigeneralschlüssels für Westberlin leerten. Damit hätten die Führungsoffiziere Zugriff auf alle Verkehrsanlagen und Polizeirufsäulen gehabt und hätten in alle Polizeiunterkünfte hineinspazieren können. Daß Bernhard Sch. an diesen Schlüssel rankam, war purer Zufall: Ein Polizist, der seinen Generalschlüssel verloren hatte, bat ihn, diesen „schwarz“ nachzumachen.

Stolz vermeldete dagegen Bernhard Sch.'s Führungsoffizier, daß es einen „Dauerauftrag zur Beschaffung von Zweitschlüsseln von operativ interessanten Personen und Einrichtungen“ gäbe. „Das ist totaler Quatsch“, sagte Bernhard Sch. gestern. Er habe nur „fünf bis zehn Schlüssel“ in den Osten geschmuggelt. Bei vielen der Treffen in Ostberlin, so der nach eigenen Angaben „völlig unpolitische“ Agent weiter, habe es sich um „unwichtige Dinge“ gehandelt. Da seien Klebestifte oder Eisspray übergeben worden. Andererseits hätten ihm die Stasileute vorgeworfen, daß er seine Fähigkeiten nicht genug einsetze.

Bernhard Sch., ein kräftiger Mann mit grauen Haaren und Vollbart, entspricht kaum dem Bild des klassischen Top-Agenten. Als er im Auftrag des MfS beispielsweise nach Wien fuhr, um DDR-Bürger zu fotografieren, die im Verdacht standen, Landesverrat zu begehen, sei ihm die Straßenbahn vor die Linse gefahren. Gelang ihm bei anderen Aufträgen, wie beim Auskundschaften des Greenpeace-Büros in Westberlin, doch mal ein Schnappschuß, sei er wegen der „verheerenden“ Qualität „gerügt“ worden. Barbara Bollwahn