Zwischen den Stühlen
: Brüllendes Flüstern

■ Absolut bestsellerresistent, aber so ... innig: das Spätwerk von Morton Feldman

Kurze Rückerinnerung vorweg: Morton Feldman, der notorische New Yorker, der dicke Mann, war von frauenerschreckender Häßlichkeit: fettiges Schnittlauchhaar, krötiges Angesicht, sardonisch geschürzte Schlauchbootlippen, Glasbausteine auf der Nase, immer einen Nikotinspender im Mundwinkel.

Aber das zählt nicht, Feldman verschwendete seine Zeit nicht in Salons, Antichambres oder in Kulturverwaltungsbüros, um durch Etikette, Plauderei und Trallala lukrative Aufträge zu akquirieren. Lieber verkaufte er statt dessen seinen Scharfsinn an seinen beißenden Humor, um das Eitle, das unfreiwillig Komische, das Angeln im seichten Gewässer zu geißeln. Für einen galligen Charakter war er allerdings nicht kleinlich genug.

Ansonsten: geboren 1926 in New York, gestorben 1987 in New York. Stand in Unabhängigkeit zur Rechten John Cages, verbrachte die Stunden seiner Tage mit de Kooning, Guston, Pollock und was sich sonst austobte mit Farbe auf Leinwand, mit oder ohne Pinsel. Die Einflüsse des abstrakten Expressionismus (Rolle der Farbe, Akt des Auftrags, Grad der Abstraktion) auf seine Musik ist oft bemerkt worden und lädt zum nachmittagelangen Spekulieren ein – heute weiter nichts davon.

Das heißt – noch eine kurze Erinnerung: Früher waren seine Stücke, das meiste für Klavier, kurz, wurden im Laufe der Jahrzehnte länger und waren zuletzt abendfüllend, opernlang (aber ohne Pausen und Zwischenspiele). Feldman hat etwas wie ein „spekulatives Spätwerk“ hinterlassen, etwas Seltenes in dieser Jahrhunderthälfte, wo alternde Komponisten als „Meister“ angeredet werden, weil es für die oft zu beobachtende fröhliche Regression keine handelsübliche Bezeichnung gibt.

Dieses Spätwerk sorgte für einen Kreis der Jünger und des Komponisten Verscheiden für eine Gloriole, die nunmehr kräftig strahlt. Mehrere Merkmale von Feldmans Spätstil könnten dafür ausschlaggebend sein: 1. unikater Stil sorgt für Unverwechselbarkeit. 2. Endlose „himmlische Längen“ (Schumann über Schubert) sorgen für Gelegenheit der hörenden, tiefen Versenkung in Klang, Kosmos und Ego. (Versuch eines chronologischen Gottesbeweises: Da, was Stunden währt, ewig währen könnte, und da, was ewig währt, die Zeit besiegt hat, und da die Bändigung der Zeit selbst eine anbetungswürdige Fähigkeit ist, verehrt man in Feldman stellvertretend den Überwinder der Zeitlichkeit.) 3. Die Zartheit seiner Klänge sorgt für innige Empfindung, dazu aber gleich mehr. 4. Die leuchtende Farbigkeit seiner Klänge sorgt für den gewissen ästhetischen Schauder.

Diese und weitere Gründe führten zu einer Plattenflut – einer Flut im Wasserglas freilich, denn bis zum nächsten Quantensprung zur Besserung der Hörgewohnheit der Menschheit dürfte die Bestsellerresistenz dieser Musik garantiert sein – so daß inzwischen Feldmans ×uvre in groben Zügen vorliegt (in der Literatur selbst für einen Auctor minor eine Selbstverständlichkeit).

Wenn nun noch eine weitere Veröffentlichung auf den Tisch kommt, zu der auch noch ausdrücklich geraten werden soll, bedarf das vielleicht der Begründung. Das erste ist: Feldman spielt selbst, zum Beispiel bei „Piano Three Hands“ von 1957, zu der John Tilbury (Namen bitte hinter die Ohren schreiben) eine weitere Hand gab. Da ist ein Klavierklang zu hören, wie nur ein Eremit, der seine lebenslang-tägliche Andacht am Piano verrichtet, ihn hervorbringen kann ... Von dem läßt sich schwärmen, aber nicht berichten. So höre man denn selbst.

Zweitens wurden die Aufnahmen durch strenge Filterung aus einer Fülle von Rundfunkproduktionen ausgewählt – mit dem Resultat, daß nun Einspielungen von so eminenten Musikern wie David Tudor, Jano Négyesy, Cornelius Cardew unter anderen zu haben sind. Daß einige wenige Stücke nicht von dem sind, was man heute „gute Tonqualität“ nennt, beruht auf dem Umstand, daß zu Beginn der fünfziger Jahre die Tonbandtechnik entwicklungstechnisch gerade in ihrer Schellack-Phase war – dem Kunstgenuß abträglich ist das nicht.

Von der wunderbaren Zartheit der Feldmannschen Klanggewebe ist schon öfter geschrieben worden. Zartheit wird ja gewöhnlich gleichgesetzt mit schwach, empfindlich, zerbrechlich, verletzlich – und ist damit auch schon halb zur Wirkungslosigkeit verdammt. Nun sind die Stücke ja auch alle leise, können ja überschrien werden (nur, wer könnte schon so lange schreien, wie Feldmans späte Stücke dauern – bis zu fünf Stunden?), aber vielleicht gibt es so etwas wie strotzende Zartheit. Analog zu Beckett etwa (von dem Feldman einiges vertont hat, unter anderem eine Oper, deren Libretto auf einer Briefmarke Platz hat), dessen schrecklichen postapokalyptischen, manisch-absurden, existenzgetränkten Monologbrocken ja auch nicht geschrien, sondern geflüstert werden. Vielleicht beziehen beide ihre Kraft aus dem Umstand, alle dramatischen Mittel, formale Komplexität, rhetorische oder psychologische Tricks zurückgestutzt zu haben zugunsten eines brüllenden Flüsterns; das noch lange verklingend im Ohr dröhnt. Frank Hilberg

Morton Feldman: ed. RZ 1010

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