Auf dem Boden der Tatsachen

Hanf, Flachs und Nessel gehören zu den vielversprechendsten nachwachsenden Rohstoffen, aber es gibt noch Probleme bei der Verarbeitung  ■ Von Frank Waskow

Hanf, Flachs und Nessel sind die herausragenden Beispiele für viele vergessene Nutzpflanzen unserer Breiten. Auch Färbepflanzen, Mohn und andere Kulturpflanzen werden heute nicht angebaut und haben kaum wirtschaftliche Bedeutung. Ein Konzept zur Wiederbelebung alter Kulturpflanzen ist jedoch derzeit nicht absehbar. Das Katalyse-Institut hat sich vor diesem Hintergrund mit den heimischen Faserpflanzen beschäftigt und eine umfangreiche Studie erstellt, die Ende Oktober als Buch veröffentlicht wird.

Die Nutzung der Hanf-, Flachs- und Nesselpflanze als Faser- und Öllieferanten läßt sich über Jahrtausende zurückverfolgen und in vielen Kulturen der Welt belegen. Auch in Europa haben Faserpflanzen eine mehr als tausendjährige Tradition. Die Nutzung reicht bis zur Verdrängung der heimischen Naturfasern Ende der dreißiger Jahre durch Kunstfasern, Holz, Baumwolle und Sisal. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Anbau vieler nachwachsender Rohstoffe eingestellt; Naturfasern und pflanzliche Öle wurden seither überwiegend aus Übersee importiert oder durch synthetische Produkte der chemischen Industrie ersetzt. Heute gehören Hanf, Flachs und Nessel zu den vielversprechendsten nachwachsenden Rohstoffen unserer Breiten.

Aus allen drei Faserpflanzen kann man eine Vielzahl von Rohstoffen gewinnen: Lang- und Kurzfasern, Wachse, Schäben (Holzteilchen) und Öle stehen für eine außerordentlich große Variationsbreite der Rohstoffe, aus denen Textilien, Papier, Bau- und Dämmstoffe sowie Speise- und technische Öle hergestellt werden können.

Heute stehen vor allem die günstigen landwirtschaftlichen und ökologischen Eigenschaften dieser Kulturpflanzen im Vordergrund. Es muß aber berücksichtigt werden, daß Faserrohstoffe am Markt nur eine Chance haben, „wenn sie sich rechnen“, das heißt ökonomisch erzeugt werden können. Schließlich treffen Produkte aus Faserpflanzen auf weitestgehend gesättigte Märkte. Eine Konversion von konventionellen durch nachwachsende Rohstoffe und eine Verdrängung herkömmlicher Produkte ist nur machbar, wenn ökologische Kriterien möglichst umfangreich und auf allen Stufen – vom Rohstoff bis zum Endprodukt – eingehalten werden. Dies ist nicht allein durch einen umweltgerechten Anbau von Faserpflanzen zu erreichen, eine umweltfreundliche Verarbeitung ist mindestens genauso wichtig.

Heimische Faserpflanzen könnten beispielsweise wieder für eine gewisse Selbstversorgung mit textilen Fasern sorgen. Die Voraussetzungen und Potentiale für einen extensiven oder ökologischen Anbau zur Gewinnung von Textilfasen sind gegeben. Eine Etablierung heimischer Textilfasern ist aber nur dann möglich, wenn am Ende der Produktlinie Textilien angeboten werden, die in einer konsequent ökologischen Kette produziert wurden. Lange Transportwege, hohe Pestizid- und Düngereinsätze, intensive Bewässerung und Bodenzerstörung, aufwendige Erntemethoden unter anderem sind bei der Baumwollerzeugung negativ zu bewerten und sprechen für einheimische Faserpflanzen. Jedoch sollte sich der Faserabsatz nicht allein auf modeabhängige Bereiche wie etwa den Textilmarkt beschränken, sondern auf langfristig gesicherten Absatzmärkten wie der technischen Verwendung von Naturfasern im Fahrzeugbau, zur Herstellung von Bodenbelägen oder Bau- und Dämmstoffen stützen.

Neben Altpapier, Schafwolle und Polystyrol können Faserpflanzen auch im Dämmstoffbereich neue Perspektiven zu den in die Kritik geratenen Mineral- und Glaswolleprodukten bieten: Dämm- und Lärmschutzplatten, Wände und Schüttgut zur Isolierung können aus den Schäben und Fasern der heimischen Pflanzen Flachs, Hanf und Nessel hergestellt werden. Die Schäben fallen bei der Entholzung der Stengel an und können zur Herstellung von Dämmplatten genutzt werden. Dabei zeigen die derartig hergestellten Dämmstoffe ausgezeichnete Dämmeigenschaften. Hemmnisse bei der Verwendung ergeben sich heute meist aus den Bauvorschriften beziehungsweise aus den maßgeblichen Normen, die den breiten Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen als Dämmaterial in öffentlichen Gebäuden unmöglich machen.

Hier stehen ebenso wie bei der Integration der Faserpflanzen in die Wirtschaftskreisläufe politische Weichenstellungen aus. Zwar wird wohl 1996 der kommerzielle Hanfanbau in Deutschland wieder möglich, es stehen jedoch im Landwirtschaftshaushalt keine Gelder

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für die Hanfforschung zur Verfügung, und auch bei der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe sind derzeit noch keine Hanfforschungsprojekte zu entdecken.

Eine nennenswerte Nesselforschung und -förderung der letzten Jahre hat bis heute nicht die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt: Rund 60 Millionen Mark Fördermittel aus Bund und Ländern haben nicht zu einer Neuetablierung des Faserlein und zur Entwicklung der Produktlinien geführt.

Die Flachsforschung und -entwicklung sieht sich einem sinkenden Forschungsetat gegenüber – gleichzeitig sind die ökonomischen und qualitativen Anforderungen industrieller Verwender nur bedingt zu erfüllen. Durch eine zukünftige Hanfverarbeitung und vielleicht später auch durch eine Nesselverarbeitung könnten die Forschungsgelder amortisiert werden. Schließlich können Flachstechnologien mit relativ geringen Aufwendungen auf Hanf- und Nesselrohstoffe adaptiert werden.

Allerdings tun sich hier für alle Faserprodukte die gleichen ökonomisch-technischen Hürden auf – und diese sind viel höher als die Aufhebung des Hanfverbotes. Deshalb muß aus den unbefriedigenden Ergebnissen und Erfahrungen des Faserleinanbaus und der -forschung gelernt werden: Die Lücken in den Produktlinien müssen geschlossen werden – und zwar nicht mit teuren High-Tech-Verfahren, sondern mit bezahlbaren, angepaßten Technologien. Die Endprodukte müssen konkurrenzfähig werden, wenn sie nicht als extrem teure Alternativen in Nischenmärkten „herumdümpeln“ sollen. Einen Beitrag dazu kann das Instrument einer Ökosteuer liefern, die konventionelle Rohstoffe stärker verteuert als nachwachsende Rohstoffe und gleichzeitig dem ökologischen Anbau Kostenvorteile gegenüber dem konventionellen Anbau verschafft.

Es ist also an der Zeit, nach den Monaten der Hanf-Euphorie wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen und deutlich zu machen, daß bei der Eingliederung der Hanfpflanze ähnliche Probleme wie beim Flachs zu lösen sind. Die Problemlösung wird eine breite Nutzung von Hanf, Flachs und Nessel nicht von heute auf morgen ermöglichen, da im Gegensatz zur Nutzung von Ölpflanzen für Faserpflanzen neue Technologien, Vermarktungs- und Marketingstrategien entwickelt werden müssen.

Der Autor ist Mitarbeiter des Katalyse-Instituts.

Katalyse e.V. – Institut für angewandte Umweltforschung, Weinbergstraße 190, 50825 Köln, Tel.: 0221/546 10 55, Fax: 0221/54 43 36

Katalyse-Literatur zu Hanf und Faserpflanzen:

Hanf & Co. – die Renaissance der heimischen Faserpflanzen. Verlag Die Werkstatt, Göttingen. Erscheint Ende Oktober 1995, 29,80 DM

Hanf-Kalender 1996. Verlag Die Werkstatt 1995, 16,80 DM

Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze: Hanf – Cannabis – Marijuana. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt/Main 1994, 22. Auflage, 30 DM

Krankheiten und Schädlinge am Hanf. Katalyse-Eigenverlag Köln 1995, 15 DM

Mißbrauchspotential THC-armer Faserhanfsorten. Katalyse-Eigenverlag Köln 1994, 13 DM