Erst mal das Recht auf Leben

Es ist die gewalttätigste Region Kolumbiens. In Urabá bekämpfen sich Guerilla und Militärs auf Kosten der Bevölkerung. Im Ausnahmezustand gibt es keine Chance auf Frieden  ■ Aus Urabá Ralf Leonhard

Der Regen peitschte auf das Wellblechdach der Disko „Aracatazzo“ im Vorort „El Bosque“ von Chigorodó, wo die Bananenarbeiter zum samstäglichen Tanz versammelt waren. Plötzlich wurde die Tanzmusik durch Vallenato- Rhythmen aus einem Autoradio übertönt. Fünfzehn bewaffnete Männer drangen in das Lokal ein und eröffneten das Feuer auf den Wirt González und die Gäste. Einige, die zunächst entkommen konnten, wurden draußen auf der Flucht niedergemacht. Die Polizei, die am Morgen des 13.August, sieben Stunden nach dem Gemetzel, am Tatort eintraf, zählte 18 Tote, darunter zwei Frauen.

Die Täter gaben sich per Kommuniqué als „Kommandos der Volksalternative“ zu erkennen, einer paramilitärischen Gruppe, die sich dem Kampf gegen die Guerilla verschrieben hat. Die Opfer waren Arbeiter der umliegenden Plantagen, auf denen 60 Prozent der von Kolumbien exportierten Bananen geerntet werden.

Sie zählten zur sozialen Basis der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (Farc), der ältesten aktiven Guerillaorganisation des Kontinents. Unmittelbarer Anlaß für das Massaker war ein Hinterhalt der Farc, in dem knapp eine Stunde vorher drei Polizisten und drei ihrer paramilitärischen Helfer getötet wurden.

„Die Opfer sind meistens Zivilisten“, weiß Omar Hernández, der sich im Rahmen des „Zentrums für Forschung und Volkserziehung“, Cinep, seit Jahren mit der Region beschäftigt. Urabá im äußersten Nordwesten Kolumbiens ist trotz des auf den Bananenplantagen erwirtschafteten Reichtums die gewalttätigste Region des Landes. Im Jahre 1994 starben 486 Menschen einen gewaltsamen Tod, in den ersten acht Monaten dieses Jahres bereits über 600.

Die Gewalt hat viele Gründe. In der „Bananenachse“ der Gemeinden Turbo, Apartadó, Carepa und Chigorodó im Nordteil von Urabá konzentrieren sich Konflikte jeder Art: der Kampf um das Land, den die Kleinbauern führen, die durch die Expansion der Latifundien verdrängt wurden. Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit, also der Plantagenbesitzer gegen Bananenarbeiter. Der Kampf um Wohnungen, um staatliche Dienstleistungen, um politischen Einfluß und um die Geltung der Menschenrechte.

Die Guerilla verlangt von den Plantagenbesitzern Schutzgelder und hat unter Androhung von Repressalien höhe Löhne und bessere Sozialleistungen für die Arbeiter durchgesetzt. Die Arbeitgeber machen daher wenig Unterschiede zwischen den Aufständischen und den bis vor zehn Jahren in der Illegalität arbeitenden Gewerkschaften. In den achtziger Jahren wurden Dutzende Gewerkschaftsaktivisten von Militärs oder den privaten Schutztruppen der Plantagenbesitzer gezielt ermordet. Einige der Bluttaten, wie die Massaker der Plantagen „Honduras“ und „La Negrita“ im März 1988, gingen auf das Konto von Drogenbossen, die ihre Gewinne in die Landwirtschaft investierten.

Mit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen der Regierung César Gaviria und dem „Volksbefreiungsheer“, EPL, im Jahre 1991 nahmen die Gewaltakte zunächst ab. Die demobilisierten Guerilleros, die sich unter dem Namen „Esperanza, Paz, Libertad“ (Hoffnung, Friede, Freiheit) als politische Bewegung konstituierten, konnten ihren Einfluß auf Teile der Gewerkschaft wahren. Die kommunistische „Union Patriotica“ und ehemalige EPL- Guerilleros konnten die traditionellen Parteien aus einigen Gemeindeverwaltungen verdrängen, darunter die der Bezirkshauptstadt Apartadó. Doch bald begannen rechte Kommandos, systematisch linke Politiker zu ermorden, und auch Konflikte zwischen den Demobilisierten und einer Restgruppe, die die Entwaffnung ablehnte, sowie mit den Farc, wurden gewaltsam ausgetragen.

Jeder in Urabá erinnert sich mit Schaudern an die Nacht des 23. Januar 1994. Damals tauchte ein Kommando der Farc auf einem Fest im Arbeiterviertel von Apartadó auf, liquidierte gezielt eine Anzahl von Männern, schoß aber dann blind in die Menge, als das Feuer erwidert wurde. Man zählte 36 Tote und 12 Verletzte. Die Strafaktion richtete sich gegen mutmaßliche Mitglieder der paramilitärischen Verbände. Das Arbeiterviertel ist eine junge Siedlung, die 1992 auf der von „Esperanza, Paz, Libertad“ besetzten Plantage „La Chinita“ angelegt wurde. „Ehemalige Guerilleros sind ideal für die Bekämpfung der einstigen Kameraden“, erklärt Omar Hernández.

Seit der inzwischen wegen Korruptionsvorwürfen abgetretene Verteidigungsminister Fernando Botero grünes Licht für die Konstituierung sogenannter Selbstverteidigungskooperativen gab, agieren die rechten Verbände in aller Offenheit und mit der wohlwollenden Duldung von Polizei und Armee. Zu Jahresbeginn erklärten die paramilitärischen Gruppen der Guerilla den Krieg. Seither gibt es in Urabá wieder mehr Tote als an manchem Kriegsschauplatz der Welt.

Die Gewalt in Urabá war einer der Vorwände für die Verhängung des „Zustands innerer Erschütterung“ am 15. August. Am Tag danach flog Präsident Ernesto Samper, eskortiert von neun Ministern, nach Apartadó und verkündete den staunenden Einwohnern der Region, daß die Regierung in den nächsten Jahren in Urabá 400 Millionen Dollar vor allem in soziale Infrastruktur investieren wolle.

Es ist ein bißchen spät. „Kein Trinkwasser zu haben ist schlimm, doch was die Menschen jetzt am meisten brauchen, ist das Recht auf Leben“, meint Omar Hernández. Er plädiert dafür, alle an der Gewalt beteiligten Gruppen dringend an den Verhandlungstisch zu zitieren. Doch mit dem Ausnahmezustand ist die Friedensinitiative Präsident Sampers gestorben. Auf die Ergreifung der Guerillachefs wurden Kopfgelder ausgesetzt, die Militärpräsenz in den Konfliktgebieten verstärkt.